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Der Königsweg ist ein Holzweg und ein Kreuzweg

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / JELINEK / AM KÖNIGSWEG

06/03/23 Von Trump müssen wir erzählen und von Orbán. Auf die Wahl des Ersteren reagierte Elfriede Jelinek mit dem hundertseitigen Text-Konvolut Am Königsweg. Zum ungarischen Trump haben Schauspielstudenten aus Budapest ganz viel zu erzählen. – Eine bemerkenswerte Aufführung im KunstQuartier der Universität Mozarteum.

Von Reinhard Kriechbaum

Weil's so bedrückend nahe ist, Ungarn zuerst: Im September 2020 hat die ungarische Regierung unter Viktor Orbán der Autonomie der Universität für Theater und Film (SFZE) Budapest den Garaus gemacht. Die Leitung wurde regierungskonform privatisiert. Einer Uni-Besetzung durch die Studierenden haben nach 71 Tagen rigorose Covid-Gesetze ein Ende bereitet. Seither sind diese jungen Leute auf Unterstützung in der Diaspora angewiesen. Ein Partner ist das Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum.

Eine hoch ambitionierte Gruppe angehender ungarischer Theaterleute mit tristen Zukunftsaussichten im eigenen Land ist nun mit von der Partie für eine von Volker Lösch (Regie) und Christoph Lepschy (Dramaturgie) verantwortete Produktion. Sie dockt bei Elfriede Jelineks Am Königsweg an, zielt aber deutlich mehr auf die schauspiel-studentische Realität in Orbánland hin als auf das eigentliche Anliegen der Jelinek: Ihr ging es – ohne dass sie den Namen Donald Trump je hätte hingeschrieben – um die Frage, wie es zu seinem Wahlsieg hat kommen können, ohne dass die politisch moderaten Kräfte auch nur das Geringste dagegen ausgerichtet haben. Vor allem die Hilflosigkeit der Intellektuellen gegen die Anziehungskraft des Populismus ist für die Jelinek ein zentrales Thema.

Die Wucht des Mobs, eine quasi explosionsartige Ausbreitung der von Realitäten scheinbar nicht zu beeinflussenden Tatsachenverweigerung, wird in dieser studentischen Aufführung höchst suggestiv umgesetzt. Eine Gänsehaut kriegt man, wenn sich die neunzehn jungen Leute mit ungebremster juveniler Energie in mehr oder weniger geordneter Schlachtreihe Richtung Publikum stürzen und drauflos schreien. Gegen eine solche Phalanx aus unterschiedlichen Motiven und im Kollektiv umwerfend starken Stimmen käme jemand selbst mit den allerbesten Argumenten nicht an. Über weite Strecken wird chorisch geschrien und krakeelt.

Auch die babylonische Sprachenverwirrung hat in diesen intensiven hundert Minuten System: Jede ungarische Wendung wird auf Deutsch wiederholt, und umgekehrt. Englisch ist die lingua franca für alle. In der polyglotten Textflut wird also vieles zwei oder gar drei Mal gesagt, und es nimmt deshalb nicht Wunder, dass vom Jelinek-Textangebot zwar der Plot übrigbleibt, aber so gut wie nichts von dem, was den Stil dieser Schriftstellerin ausmacht. Auch inhaltlich Abstriche en masse. Am Königsweg eignet zwar eine gewisse Comic-Plakativität, aber die Abrechnung der Jelinek auch mit den selbsternannten Intellektuellen hätte dann doch eine (auch selbstkritische) Schärfe, die in der Mozarteums-Produktion nur in Spurenelementen durchkommt.

Dafür haben sich die Schauspielerinnen und Schauspieler (drei aus der Ungarn-Crew und einer der Mozarteums-Studenten sind auch als Co-Regisseure genannt) ausgiebig selbst eingebracht. Die Ungarn können aus eigener bitterer Erfahrung der vergangenen Jahre viel und Spannendes darüber erzählen, wie man dort mit der Freiheit der Lehre, der Kunst, der Medien umgeht. In einem Nebel aus fake news „stimmt nichts – doch alles ist wahr“, formuliert einer treffend. „Die Mehrheit der Menschen in Ungarn will nicht die Wahrheit, sondern Stabilität.“ Wir haben da junge Kronzeugen vor uns, und deshalb wirkt diese Aufführung so eindringlich. Menschen sind allemal spannender als literarische Textflächen. Oder anders gesagt: Die Sprachkunst und Gedankenschärfe der Elfriede Jelinek wird an diesem Abend stark relativiert durch die Authentizität von Leuten, die in einer illiberalen Demokratie Repressalien mit voller Wucht abgekriegt haben.

Wie auf der großen, dekorationslosen Spielfläche der „Chor“ geführt wird, zielt auf archaische Urkraft. Und ja, leider auch auf eher disco-verdächtige Gesamt-Lautstärke. Die Leidenschaft der jungen Spieler teilt sich ungebremst mit. Die Kostüme sind so vielfältig wie die jungen Menschen, die hier abgebildet sind. Solche Outfits könnte man auf einer Klimademo genau so antreffen wie in einem Popkonzert. Ein verbindendes Element sind die ungarischen und österreichischen Fahnen. In sie hüllen sich manche Darsteller ein wie in schützende Kokons, andere lassen sie als lässiges Accessoire irgendwo am Körper baumeln. Oder man schwingt die Fahnen als machtvolle Zeichen. Auch das wirkt glaubwürdig und suggestiv, denn Populismus fußt eben zu einem nicht geringen Teil auf dem frivolen Falsch-Spiel mit dem Nationalismus. Diesem und hohlen Versprechungen geht nicht nur der Pöbel auf den Leim – und damit sind wir doch wieder ziemlich nahe an Jelineks Königsweg, vor dem auch blinde Seher vergeblich warnen. Es hat sich nicht viel geändert seit der Antike. „Change the world“, in dem man einen König wählt: Das ist jedenfalls eher ein Holz- als ein Königsweg, und allzu leicht wird er zum Kreuzweg.

Leider gab's nur zwei Aufführungen am Wochenende (4./4. März) im Theater im KunstQuartier. Die mehrsprachige Faktur machte Aufführungen in Ungarn genau so möglich – aber dort wäre gerade diese Produktion wohl nicht so gern gesehen. Gerade zehn Theater gäbe es dort, wo man abseits des politischen Mainstreams agieren könnte, erfuhren wir in einer der letzten Szenen. Die Schauspieleleven dort sind wirklich in einer jämmerlichen Lage.

Bilder: Universität Mozarteum / Manuela Seethaler

 

 

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