So pfiffig und so platt

LANDESTHEATER / DER TALISMAN

20/03/23 Wie der rote Titus Feuerfuchs im Couplet mit dem alten weißen Mann verkuppelt wird. Der Talisman im Salzburger Landestheater überzeugt – hinkten da nicht die Couplets dem Nestroy-Geist um Häuser nach.

Von Erhard Petzel

Ein Stück über die Diskriminierung der Rothaarigen zu einer Zeit, da sie als Schönheitsideal die Leinwände bevölkern? Wie umgehen mit einem herausragenden Urtyp heimischen Theaterwesens? Das Landestheater findet in der Inszenierung von Bernd Liepold-Mosser und in der Ausstattung Aurel Lenferts einen äußerst beeindruckenden Weg, dem Klassiker des Vormärz einerseits zu entsprechen, andrerseits aber eine recht eigenständige und frische Bühnenpräsenz zu entwickeln.

Geometrische Objekte und Winkel bieten Wohnlandschaften und Labyrinthe in der Bühnendrehung, grundsätzlich schwarz, aber als Reaktion auf die Ausstrahlung des Bierversilberers (Axel Meinhardt) ebenfalls versilbert leuchtend. Auf diesem Hintergrund glänzen die zumeist monochromen Knautschlack-Kostüme knallig bunt und verstärken das animiert agierende Team in seinem komödiantischen Tun.

Auch die Sprache hält sich einerseits an die vertraute Diktion Nestroys, bricht sie aber in einer Art Hochsprachen-Modus auf. Herrliche Bühnenpräsenz und akkurate Textverständlichkeit sind der Gewinn daraus, die Pointen sitzen und die Handlung strömt im Wortschwall. Zwei Standmikrophone stehen für Spezialeinsätze bereit. Das ist nicht nur Gesang, sondern auch ein Absetzen diverser Haltungen und Botschaften in Mono- und Dialogen, die durch diese Raumklangänderung einen speziellen Kontext erstehen lassen. Die Sprechkultur ist so ausgeprägt, dass Sprache auch ohne Verstärkung als Melodram über Klangteppiche ihre Wirkung entfaltet. Bei aller Abstraktion durch die ästhetische Umsetzung des Stücks funktioniert die Identifikation mit dem menschlichen Wesen.

Maximilian Paier ist ein bei aller Intriganz sympathischer und im Grunde gutherziger Titus, der mit Lisa Fertner als Salome Pockerl zuversichtlich sein Glück finden kann. Ein hingehauchter Kuss beim pampigen Abschied in Erwartung der Perücken-Karriere mildert seine Arroganz.

Herrlich aufgedreht und lackaffig ausstaffiert Marco Dott als Friseur Marquis. Britta Bayer, Patricia Aulitzky und Tina Eberhardt steigern sich schrill nach ihrer gesellschaftlichen Stellung, während sich Georg Clementi im Faktotum Plutzerkern dummschlaufaul anstellt. Auch alle anderen überzeugen in ihren Rollen. Vielfältig und interessant die Musik von Christian Auer, der es in Solos bis Trios rappen, poppen, Falco- und hardrocken, walzern und schmalzen lässt und ein Finale im Tutti aufbietet.

Doch bei aller musikalischen Differenzierung stehen diese Songs im Widerspruch zur Idee von Nestroys Couplets (was im Publikum offenbar eher wenige anficht). Nestroy überhöht in diesen strophischen Pamphleten die Schärfe seiner sprachlichen Sezierung aus dem Drama. Er deckt darin in einer Wirksamkeit auf, dass ihm bis heute unvermindert Gültigkeit zukommt. Im Couplet öffnen sich den Aufführenden alle Möglichkeiten, die aktuelle Situation zu geißeln. Das bleibt durch Auers Songs nicht nur ungenützt, vielmehr konterkarieren sie die Textarbeit durch eine Musicalwirkung mit dem akustischen Zuckerguss sentimentalen Moralisierens. Die Trivial-Philosophie der Ballade „It is time for change“ steht dann noch dazu im Kontrast mit dem folgenden Song des Damen-Terzettes: „Wir sind sexy“. Die Quintessenz daraus: „Ein Leben ohne Sex fällt mir im Traum nicht ein“. Wie scharfsinnig!

Abgesehen davon, dass man die meist englisch-deutsch gemischten Texte kaum versteht, wird mit dem abgelutschten Feindbild des alten weißen Mannes ein Stereotyp adäquat zur Rothaarigkeit des diskriminierten Paares im Stück bedient. Wenn dann in der Schlussnummer alle anderen mit roter Perücke ausrücken, ist endgültig die Simplifizierung zur Operetten-Intellektualität erreicht. Da hört man es schon gehörig rumpeln, wie sich der alte Nestroy ob dieser seiner Verwesung im Grab umdreht. Schade, dass gerade den Musiktexten Witz, Ironie, Sarkasmus und Wortgewalt des Geistes Nestroys mangeln. Der wird ansonsten in dieser Aufführung bemerkenswert zur Geltung gebracht.

Aufführungen bis 8. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: SLT / Anna-Maria Löffelberger