asdf
 

Ein Spiel von Schuld und Sühne

THEATER (OFF)ENSIVE / DER TOD UND DAS MÄDCHEN

14/04/11 Ein Kammerspiel im wahrsten Sinne des Wortes, ein Politthriller, der ganz im Privaten verbleibt: Am Mittwoch (13.04.) feierte Ariel Dorfmans Drama „Der Tod und das Mädchen“ unter der Regie von Alex Linse Premiere auf der „Bühne im Shakespeare“.

Von Harald Gschwandtner

altBrutal hatte ein Arzt vor fünfzehn Jahren seine Verfügungsgewalt dazu genutzt, eine Oppositionelle für sexuelle Machtphantasien zu missbrauchen; hatte sich als Kulturmensch geriert und Schuberts Streichquartett op. 810 „Der Tod und das Mädchen“ gespielt, während er sie vergewaltigte und folterte – aber nie bis zum Äußersten, nie bis zum Tod. Das perverse Spiel - der Totentanz „Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!“ – musste schließlich weitergehen.

Schwer traumatisiert war Paulina Salas den Schergen des Regimes entkommen, kapselte sich in der Folge ein und ab. Als die Diktatur, in der man Pinochets „Chile, aber auch jedes andere Land“ sehen kann, sich langsam den demokratischen Kräften beugen muss, Gerardo Escobar in jene Kommission berufen, die die Verbrechen der Vergangenheit untersuchen soll, freilich nur die ‚schweren‘, die ‚irreparablen‘ Fälle und unter der Voraussetzung der Anonymität der Täter.

altIn einem hilfreichen Unbekannten erkennt Paulina ihren einstigen Peiniger, den Arzt Roberto Miranda. Als dieser im Haus der Escobars übernachtet, fesselt und knebelt sie ihn, um ihm ‚den Prozess zu machen‘, während Gerardo zwischen der emotionalen Identifikation mit den Rachegelüsten seiner Frau und seiner offiziellen Rolle als objektives, nüchternes Mitglied der Kommission hin und her schwankt. Universell und allgemeingültig sind die Dynamiken des privaten wie gesellschaftlichen Erinnerns, Verdrängens und Verschweigens, die hier zum Vorschein kommen.

Die drei hochkomplexen Psychogramme sind es, die die Sprengkraft und die luzide Qualität dieses Stücks ausmachen: Es ist nicht bloß die Suche eines Opfers nach dem ehemaligen Peiniger, die schließlich wahlweise in Selbstjustiz oder der Überführung des Täters an die Staatsgewalt mündet. Nein, vielmehr werden hier die verzweifelten Bewältigungsversuche einer psychisch devastierten Frau vorgeführt, wobei am Ende doch offen bleibt, ob ihre ‚Beweisführung‘ gegen Miranda tatsächlich lückenlos und stichhaltig ist. Gleichzeitig beginnt Mirandas selbstgerechte Maske des durchschnittlichen Familienvaters und Menschenfreunds nach und nach zu bröckeln.

Detlef Trippel und Anja Clementi können als das einst aus revolutionärem Geist hervorgegangene Paar, dessen alte Wunden nun aufbrechen, durchwegs überzeugen. Sowohl im anfänglichen gemäßigten Streit- und Plauderton als auch in den folgenden schmerzhaften wie sprechtechnisch intensiven Aushandlungen einer ‚Sühnestrategie‘ zeichnen die beiden ihre Figuren plastisch und lebensnah. Oliver Baier wiederum schafft das Kunststück, quasi mit seinem ersten Auftritt seine sonstige Fernsehpräsenz im Comedy-Fach vollständig in den Hintergrund zu rücken.Gerade zu Beginn des Stücks versteht er es in überzeugender Weise, den arglos scherzenden und scheinbar aufrichtig moralisch empörten Kerl von nebenan zu spielen, der sich bald als Wolf im Schafspelz entpuppt. Dass sein Duktus mit dem Fortschreiten der Handlung manches Mal ins Umgangssprachliche abrutscht, tut seiner starken Bühnenpräsenz keinen Abbruch.

altAusstattung und Bühne (Jan Hax Halama) sind aufs Wesentliche reduziert und bieten eine ideale Spielfläche für die Darsteller. Drei Leinwände deuten den geschlossenen Raum eines Landhauses an, dabei gerät die frei hängende Konstruktion bei jeder Berührung, in Schwingung. So wird die Unsicherheit der nur scheinbar fest gefügten Welt wie der Argumentation Paulinas in diesem Prozess deutlich.

Die Unmöglichkeit, einen Konzertsaal mit Pausenfoyer auf der kleinen Bühne im Shakespeare zu simulieren, macht es leider notwendig, das Ende umzustellen bzw. zu kürzen. Die von Dorfman so großartig komponierte Schlussszene, die eben keine Antwort darauf gibt, ob Paulina ihren einstigen Peiniger bei der Aufführung des Schubert-Quartetts tatsächlich im Auditorium sitzen sieht oder ob vielmehr das Bild des Ermordeten für sie immer mit dieser Musik verbunden bleibt, also ihre Scham ihn überlebt, büßt so doch wesentliche Nuancen ihrer dramaturgischen Kraft ein. Nichtsdestotrotz wird hier in einem intimen Rahmen großes Schauspielertheater geboten, das durch die Nähe zum Publikum, die Unmittelbarkeit des Spiels und nicht zuletzt durch die überzeitlich gültige gesellschaftspolitische Brisanz des Textes durchgehend zu überzeugen weiß.

Weitere Vorstellungen: 18. und 27. April; 4., 7. und 14. Mai - www.theateroffensive.at
Bilder: Maro W.


 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014