Selbstmord ist nicht gut für den Lebenslauf

KABARETT / MOTZ ART / NICO SEMSROTT

10/02/14 Was muss Satire? Laut Nico Semsrott muss sie wehtun und das richtige Publikum treffen. Lieber Stand-up-Tragedy als Standup-Comedy, so lautet seine Devise, und diese verfolgt kein geringeres Ziel als die Beseitigung des Kapitalismus unter dem Deckmantel der Depression.

Von Oliwia Blender

042Nico Semsrott, Kabarett-Neueinsteiger und Preisträger des Bayerischen Kabarettpreises 2014, senkt mit seinen 28 Jahren und seinem Kapuzenpulli den Altersdurchschnitt auf der Spott-Bühne enorm. Bisher im deutschsprachigen Raum als Dichterschlacht-Meister bekannt, präsentierte er beim MotzArt Kabarett Festival am Freitag (7.2.) sein 90minütiges Soloprogramm „Freude ist nur ein Mangel an Information“ und überzeugte mit seiner höhnenden und klugen Satire (vor allem auch) erfahrenes „altes“ Kabarettpublikum.

Gewünscht wird die Depression für alle: die kollektive Leistungsverweigerung soll den Kapitalismus stürzen, durch Entzug von einsatzfähigen Arbeitskräften. Dabei behilflich sein will der Verbraucher(be)schützer Nico mit Unglückskeks-Sprüchen, dem Depressionsfonds und mit den Geschäftsideen eines Demotivationstrainers. Seine Putzig-Positive-PowerPointPräsentation dient ihm zur bildlichen Darstellung von versteckten Botschaften und Wortspielen, Buchstabenverdrehern, stereotypischen Fremdbildern und unzähligen weiteren Themen „zum Aufhängen“. Nico Semsrott ist „dagegen“, und zwar aus Überzeugung und mit System: Glück durch Selbstbetrug oder Unglück durch Realismus. „Du hast die Wahl“ heißt es ständig und treibt den Menschen ins Unglück – auch darüber klagt Nico und verweist auf die einzig mögliche Alternative: den Fluchtschlaf. In radikalen Fällen empfiehlt er einen Protestschlaf und wenn es gar nicht mehr geht, hilft nur noch das Bild mit dem Kaninchen. Und noch ein wohlgemeinter Hinweis zum Leben selbst: Selbstmord ist nicht gut für den Lebenslauf.

Es gibt Witze, die funktionieren vielleicht nur in Deutschland, aber auch dagegen weiß Nico sich zu helfen: Er klagt ganz Europa an, und der Verantwortung kann sich keiner entziehen. Seine beiden liebsten Feinde sind die katholische Kirche und die Faschisten, aber die Situation in unserem demokratischen Lebensumfeld ist so ausweglos, dass auch die Bundeswehr, die Kanzlerin, die Europäische Union, Steuergelder – wie das gesamte System überhaupt – ihr Fett abbekommen. Mutig und bitterböse bedient er sich des Artikels 5 des Grundgesetzes, der freien Meinungsäußerung, nimmt kein Blatt vor den Mund, vielmehr fordert er auch eine Wiedereinführung der öffentlichen Ächtung.

Geübte Improvisation trifft auf tiefschwarze Spottlust. Nico Semsrott bedient sich vorgegebener Parolen und zerlegt diese in kleinste Einzelteile und Bedeutsamkeiten. Er verschont sich selbst auch nicht. Und überhaupt, ist Depression ein Thema für das Kabarett? Es verstört und trifft das Publikum – und das ist der Erfolg. Versprochen wird ein trauriges Ende. Traurig, weil ernst gemeinte Sorge, ob all die Witze und Lacher über die Missstände in unserem Land, die Sorgen um die Resignation des Einzelnen und den kollektiven Opportunismus, womöglich doch der falsche Weg sind, etwas zu ändern. Auf jeden Fall funktionieren die „drei Affen“ dadurch nicht mehr: Keiner kann behaupten, er hätte von alldem nichts gewusst.

Bild: nicosemsrott.de / Fabian Stürtz