Bald sei man tot, bald ist man tot

 

LANDESTHEATER / DIE VERMESSUNG DER WELT

06/10/14 Daniel Kehlmann als Bühnenautor in Salzburg? Das hat lange nicht wollen sein: Als er „Dichter zu Gast“ bei den Festspielen war, reifte der Plan für ein Theaterstück. „Geister in Princeton“ ist im Sommer 2011 dann doch nur eine szenische Lesung geworden und wurde schließlich in Graz uraufgeführt.

Von Reinhard Kriechbaum

Jetzt aber kann das Salzburger Landestheater mit Kehlmann aufwarten: „Vermessung der Welt“ ist der Roman-Bestseller, mit dem sich Kehlmann als Autor in den Ruhm katapultierte. Ein gewisser Dirk Engler hat den Stoff für die Bühne adaptiert. Diese Fassung zeigt man in Salzburg als Österreichische Erstaufführung.

Der Bucherfolg der „Vermessung der Welt“ liegt zu einem nicht geringen Anteil daran, dass leidenschaftliche Leser im Autor einen Seelenverwandten finden: Daniel Kehlmann steht für Belesenheit, für den klassischen Bildungskanon, für das ererbte und hoch gehaltene geistesgeschichtliche Wissen. Einer wie er hat Google wahrscheinlich nicht nötig, und statt Wikipedia on screen steht bei ihm der Brockhaus unangestaubt in Griffnähe. Nichts kann schief gehen, wenn er eine klassische „Wer-trifft-wen?“-Story erzählt, wenn er biographische Möglichkeit und Welterkenntnis in sanfter Reibung wohlwollend zusammenführt: Jeder Bildungsbürger wünscht sich einen jungen Mann wie Daniel Kehlmann zum Enkel.

Von diesem Vertrauensbonus wird auch die Landestheater-Aufführung gut leben, zumal zwei ur-sympathische Typen aufeinanderprallen. Christoph Wieschke ist Alexander von Humboldt, die wissenshungrige Frohnatur, ein Erkunder und Ausprobierer von sanguinischem Naturell. Marco Dott ist der mieselsüchtige Carl Friedrich Gauß, der die Zahlenreihen der Welt quasi im Kopf gebiert, dem der Blick durchs Fernrohr aber absolut genug ist an Weltsicht. Zwei also, die ganz unterschiedlich ticken. Beide legen ihre Rollen so an, dass man sich in jeden der beiden hineindenken und mit ihm fühlen kann.

In Spielszenen, die ineinander fließen, werden Streiflichter ihres Lebens nebeneinander gestellt. Das arrangiert Regisseurin Sarah Kohrs unaufdringlich, sie baut auf die Fähigkeiten einiger Darsteller zur raschen Verstellung und Verkleidung. So kann Paul Maresch als Gauß‘ Sohn Eugen und zugleich als Humboldts Reisebegleiter Bonpland reussieren. Vilmar Bieri übernimmt vornehmlich die verschrobenen Subalternen. Claudia Carus klingt immer wie sie selbst, hat aber viel Umzuziehen und ist mal Mandl, mal Weibl. Einmal Kant im Rollstuhl, dann liebesdienerisches Geschenk des Konsuls, dann Gauß‘ liebende erste Ehefrau Johanna. Walter Sachers hat die eher noblen Rollen abgestaubt und hat alle Lacher auf seiner Seite, wenn er sich als Goethe „in der Campagna“ in vertrauter Pose mit Hut niederlässt.

Alldem sähe man noch viel lieber zu, wenn nicht Stefan Mayer so ein sagenhaft unansehnliches Klettergerüst mit zwei einfallslosen Guckkästen auf die Drehbühne gebaut hätte. Aber freilich: Irgendwie muss der Herzog von oben herab auf die Untergebenen blicken und Humboldt auf den Fünftausender klettern. Aber man könnte sich das optisch anregender ausmalen…

Und wenn man „Die Vermessung der Welt“ nicht gelesen hat, könnte man mit der freilich sich etwas hinziehenden Aufführung, die bilderbogenartig an einem vorübergeht, durchaus zufrieden sein. Die’s aber gelesen haben, wundern sich. Kehlmann hat die direkte Rede vermieden. Die latente sanfte Ironie der Vorlage geht notgedrungen verloren durch die Dramatisierung. Das Theater lebt nun mal davon, dass Leute auf der Bühne miteinander reden. „Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein“ – so „Wanderers Nachtlied“ bei Kehlmann „frei ins Spanische übersetzt“. Dieses in direkte Rede gesetzt auf der Bühne – da wird aus einem Spiel mit Poesie Bildungsvermittlung.

Aufführungen bis 3. Jänner 2015 – www.salzburger-landestheater.at/de
Bilder: Salzburger Landestheater / Christina Canaval