Dabei waren diese exklusiven Wortergüsse gar nicht so ernst und plump gemeint, wie sie „schwarz auf weiß“ wirken. Vielmehr handelte es sich bei den Tiraden genau um jene kleinen Neckereien, wie sie nur unter Menschen stattfinden können, die sich sehr gut kennen, die sich damit gegenseitig aufziehen, veralbern - und einander so ihre Zuneigung beweisen. Keine Spur von beleidigt sein. Und wenn, dann ist es durch ein Lachen oder einen „Insider-Witz“ ganz schnell wieder vergessen. Weil man sich mag. Weil man sich durch und durch kennt. Weil man füreinander da ist. Weil man sich hat – hatte.
So war es auch bei den beiden Schwestern Mathilde und Zus, die in ihren abendlichen bzw. nächtlichen Treffen gar nicht mehr aufhören konnten sich „anzufiesen“, wie sie es nennen, und selbst nicht mehr wissen, wie sie auf den Namen gekommen sind. Die sich Geschichten ausdachten von Prinzen und Prinzessinnen und nach Lust und Laune zu dem Song „Ich glaub noch immer daran“ von dem Film „Türkisch für Anfänger“ tanzten. Eine kindliche unvoreingenommene verspielte Idylle. Wäre da nicht dieser bittere Beigeschmack. Dieser Stich, den der Zuschauer erfährt, als Mathilde mitten im Stück nebenbei erwähnt, dass es die Schwester, mit der sie jede Nacht nach Herzenslust spielt, gar nicht mehr gibt. Dass diese tot ist - gestorben bei einem Zugunfall - und nur noch in der Dunkelheit zu ihr kommt, um sich mit jeder Nacht ein Stück mehr von ihr zu verabschieden.
In der sehr berührenden Aufführung – Premiere war am Freitag (30.1.) im Schauspielhaus - die die letzte gemeinsame Begegnung der beiden Schwestern darstellt, zeigen Autor Theo Fransz und Regisseur Harald Fröhlich, wie Kinder mit dem Tod geliebter Menschen umgehen. Dass sie die plötzlich aus dem Leben gerissene Person häufig noch bei sich behalten, sich langsam verabschieden und so loslassen können. Mitschwingen alle ungeschminkten Fragen nach dem Warum, dem Wer ist schuld und Wo gehst du jetzt hin. Wobei Mathilde und Zus es für ratsam halten, nicht der bereits verstorbenen Oma zu folgen, da es dort wahrscheinlich nur Chicorée und Spinat geben wird.
„Irgendwo bleib ich bei dir, das weiß ich ganz genau. Sogar wenn du nicht an mich denkst, bleib ich bei dir. Und irgendwo komme ich dir wieder in den Sinn. Auf dem Weg zur Schule, auf dem Klo, auf deinem Fahrrad, zuhause… Ich bin immer bei dir.“
Mathildes Eltern, die sich für viel erwachsener und reifer halten, verstehen die nächtlichen Redeanfälle ihrer Tochter scheinbar nicht und wollen sie zu jemandem schicken: „Jemandem, den ich gar nicht kenne. Der soll mir helfen“, berichtet Mathilde ihrer toten Schwester Zus in der nächtlichen Unterredung. Doch die beiden tun dies als Unsinn ab. Sie verstehen die Reaktion ihrer Eltern nicht und versuchen sich zu erklären, wie die Erwachsenen darauf kommen: „Weil sie selber verrückt sind. Angst haben, nicht cool sondern unglaublich bekloppt und schwachsinnig sind…“ Und so geht das „Anfiesen Spiel“ weiter. Diesmal sind die Eltern die Deppen.
Die Schauspielerinnen Alexandra Sagurna und Kristina Kahlert, denen die beiden Schwestern wirklich auf den Leib geschneidert zu sein scheinen, bringen auf eine ganz natürliche, echte Art und Weise die innige Freundschaft der beiden Mädchen herüber. Ein Gespann, wie „Hanni und Nanni“, „Dick und Doof“, „Susi und Strolch“, das niemand so leicht auseinander bekommt – auch nicht der Tod. „Ich werde immer bei dir sein irgendwie“, ermutigt Zus ihre Schwester, bevor sie sie mit dem geliebten Kuscheltier Felix zum letzten Mal zu Bett bringt und in den Schlaf wiegt. Dann gehen die Sterne auf. Zus war gegangen. Vielleicht in einer Seifenblase.
Bild: Schauspielhaus Salzburg