„Das Leben ist (k)eine Kunst“, eben. Kaminer ist Bestsellerautor, also etwas Künstler-Ähnliches. Das erklärt manches. Zum Beispiel, dass so überhaupt nichts weiter geht bei einer Kaminer-Lesung, rein gar nichts. Auch als Endvierziger noch ein Charming Boy. Steht da. Hebt zum wiederholten Mal ein älteres oder das aktuelle Buch oder auch ein Manuskript, das in ein noch zu schreibendes einfließen wird. Und wieder einmal fragt er mit treuherzigem Blick: „Soll ich vorlesen, oder lieber nicht?“
Zum Lesen kommt es eh kaum. Schon beim Titel der jeweiligen Geschichte wischt Kaminer mit großer Geste die imaginären Buchstaben beiseite und lässt die Assoziationen galoppieren. Seine reisefreudige Mutter fällt ihm ein oder eine Episode, als er noch in der Sowjetunion im Kindergarten war. Dass Flüchtlinge zuhauf im Land sind - „Syrer“ will er nur als Überbegriff, als Pars pro toto verstanden wissen – kommt ihm alle fünf Minuten aufs Neue in den Sinn.
Sie kommen auch nicht gut weg, jedenfalls nicht besser als der Vorgartenphilanthrop in der Eiffel, der einen tiefes Loch in die Erde gräbt, um die Antipoden zu sich einzuladen. Was prompt die Nachbarn dort missmutig macht: „Wir haben schon Rumänen und Polen, wozu Maori?“
So geht und schlingert und gestikuliert er dahin, nippt einmal am Wasser- und dann am Rotweinglas. Dazwischen kann er sich, so scheint's, eben so wenig entscheiden wie für eine Geschichte allein. Die Ideen stolpern und purzeln übereinander und die Beobachtungen kippen ineinander. Und da erst, nach Finten und gedanklichen Umwegen, blitzt der eigentliche Wladimir Kaminer auf: Auch nach einem Vierteljahrhundert als Neo-Berliner lässt er sich mit den geschärften Sinnen eines Emigranten auf die so heimisch-fremde Kultur rund um sich ein. Diese vergleicht er immer noch mit der freilich zum Stereotyp gerinnenden Erinnerung an die Sowjetunion. Klar tun sich Abgründe auf, und die sind zum Teil schon auch witzig.
Das Beste kommt wie beiläufig daher, hält sich verborgen hinter Wortschwällen und Gedankenverschlingungen. Es kommt genau dann, wenn man schon gähnt und jede Hoffnung auf ein halbwegs schlüssiges Ende der jeweiligen Geschichte aufgegeben hat. Wer mit Kabarett die zugespitzte Pointe verbindet, sollte sich mit Wladimir Kaminer eher nicht einlassen.