In „Die Geraubten Mädchen“ erinnert nun das Salzburger Landestheater an diese unfassbare Tragödie und lässt dabei die Opfer selbst zu Wort kommen. Die schrecklichen Erlebnisberichte sind allerdings nichts für Leute mit schwachem Magen. Minutiös wird etwa berichtet, wie 50 Frauen der Kopf abgeschnitten wird, da sie sich der arrangierten Zwangsehe verweigern. Das stumpfe Messer darf dabei nicht an der Gurgel, sondern nur im Nacken angesetzt werden, um maximale Grausamkeit zu garantieren. Neben Enthauptungen stehen aber auch Folter, Steinigungen und Massen-Erschießungen auf der Tagesordnung.
Während zumeist Männer sofort gelyncht und Knaben in die Kampftruppen eingereiht werden, haben Frauen und Mädchen für die Terrorgruppe einen ganz besonderen Wert: als Währung, um sich die Gunst der Untergebenen zu sichern, als Gefäße für ihren wertvollen Samen und als Schutzschild gegen militärische Angriffe. Wer sich weigert, stirbt, Nachschub gibt’s ohnehin im nächsten Dorf. Dort eventuell stationierte Regierungstruppen flüchten lieber selbst vor den nahenden Schlächtern, um sie dann später aus der Luft bombardieren zu können. Dass dabei regelmäßig mehr Frauen als Kämpfer ums Leben kommen, wird in der anschließenden Jubelmeldung über den erfolgreichen Angriff gerne verschweigen. So bekommt selbst die Nachricht über 350 befreite Boko-Haram-Geiseln, die ausgerechnet am Premierentag der Salzburger Aufführung über die weltweiten Newsticker lief, einen bitteren Beigeschmack.
Mit der Befreiung aus der Gefangenschaft endet die Leidenszeit der Opfer aber ohnehin nicht. Fortan werden die Frauen misstrauisch beäugt und systematisch schikaniert. Waren sie nicht mit Boko-Haram-Kämpfern verheiratet? Haben sie nicht das Bett mit ihnen geteilt? Wer soll ihnen da noch trauen? Ein Kind oder Babybauch schreibt die Schande sogar noch in die Zukunft fort. Denn was für ein Mensch soll das schon werden, wenn ihm sogar die Mutter ihre Milch verweigert
Theresa Hübchen und Marcus Bluhm haben die vom Journalisten Wolfgang Bauer gesammelten Schreckensberichte auf eine gute Stunde zusammengekürzt – viel mehr könnte das Publikum im Kammerfoyer aber wohl ohnehin nicht ertragen. In der schlicht gehaltenen Inszenierung schultert Sofie Gross alle Rollen, von der westlichen Journalistin bis zu den Opfern Clara, Sadyia, Lydia oder Agnes. Immer wieder richtet sie dabei den Blick eindringlich um Mitleid und Verständnis bettelnd in den Zuschauerraum. Für ein wenig Auflockerung zwischen den Horrorgeschichten sorgt ein kurzer Hip-Hop-Clip eines nigerianischen Jungrappers. Das Video eines Boko-Haram-Emirs, der sich mit breitem Grinsen seiner Schandtaten brüstet, verbreitet dagegen nur Entsetzen und Fassungslosigkeit. Umrahmt von Monica Reyes' Hymne an die Sachertorte lässt einen der intensive Theaterabend mit einem unguten Gefühl im Magen zurück. So hilflos hat man sich selten gefühlt.