LANDESTHEATER / KAMMERSPIELE / GABRIEL

18/05/25 Eine „strahlende Zukunft als Mann“ oder – als Frau – ab ins Kloster. Was für eine Entscheidung! Der alte Fürst von Brabante hat Gabriel/Gabrielle in diesen Entscheidungszwang gestürzt. Ein männlicher Erbe als Familienoberhaupt ist nämlich gefragt. Aber da ist nur eine Enkeltochter...

Von Reinhard Kriechbaum

George Sand hat Gabriel 1839 geschrieben und als „Dialogroman“ bezeichnet. Also ein auch für die Bühne geeignetes Lesestück. Ein durchaus hitzköpfiger Text aus der Zeit der Romantik (Georg Büchner, der einem dazu einfallen könnte, war gerade zwei Jahre tot). Das Anliegen der George Sand (eigentlich Amantine Lucile Aurore Dupin de Francueil): Geschlechtergerechtigkeit. Sie selbst lebte ein exzessives Leben in der französischen Künstler-Hautevollée, als bunter Vogel, der im Wortsinn die Hosen anhatte. Als sie Gabriel veröffentlichte, war sie gerade mit Chopin liiert, eine der stabileren Beziehungen in ihrem Leben.

Gabrielle also ist in einer jammervollen Lage: Weil ein männlicher Erbe gefragt war, hat der Großvater sie von einem Privatlehrer als Mann erziehen lassen. Da hat sie, die nichts ahnt vom „falschen“ Geschlecht, alle Männer-„Tugenden“ verinnerlicht und Frauen gründlich zu missachten gelernt. Jetzt erfährt sie vom Großvater, dem gestrengen Familienoberhaupt, dass sie eine Frau ist. Der Geschlechtstrieb ist ohnedies schon im Erwachen, und prompt verliebt sie sich in Astolphe, Sproß eines verfeindeten Familienzweigs. Und er sich in sie, noch bevor er überhaupt weiß, dass im Anzug eine junge Dame steckt. Bei einem Kostümball (Gabriel/Gabrielle in Frauenkleidern) nimmt das Verwirrspiel rasant Fahrt auf.

So konstruiert die Handlung anmutet, so fern uns das Gesellschaftsbild der italienischen Renaissance, in der die Handlung spielt, auch anmutet: Die Geschlechterstereotype, mit denen George Sand in Gabriel abrechnet, sind nicht verjährt. Eher hat man den Eindruck, dass diese produktive Schriftstellerin (sie hat rund 180 Romane und Theaterstücke geschrieben) hier auf den Kern der eigenen Sache zielt. Als Muse bedeutender Männer war sie mit Vorurteilen gegen Frauen vermutlich so vertraut wie wenige Geschlechtsgenossinnen.

Zwei Teenager in fortgeschrittenen Jahren: Pauline Großmann ist Gabiel/Gabrielle. Blass, fast ein bisserl pausbäckig zuerst, bald aber höchst reflektiert, Schritt für Schritt Selbstbewusstsein quasi von innen heraus tankend: Sie habe „nicht das Gefühl, dass meine Seele irgendein Geschlecht hat“, sagt sie schon in einer der ersten Szenen. Wie schön, wenn dies von der Gesellschaft auch so gesehen würde. Und sie hat „das Gefühl, mehr zu sein als eine Frau“. Solches wird bis heute nicht gern gesehen.

Aaron Röll ist Astolphe, der erlebt, wie eine vermeintliche Männerfreundschaft in Liebe hinüberkippt. Natürlich in eine Liebe, die nicht offen gelebt werden kann. Wie viele jungen Männer ist Astolphe gleichaltrigen Frauen intellektuell deutlich unterlegen, viel spontaner, aufbrausender. Aaron Rölls Stimme überschlägt sich, wenn Gabrielle wieder mal zu einer Bonmot-tauglichen, aphoristischen Beobachtung in Sachen Frauen-Selbstbewusstsein ansetzt. Jeder zweite Satz geeignet, notiert zu werden.

Über die weitere Handlung brauchen wir uns da nicht zu verbreitern. Die jungen Leute werden hineingerissen in einen Strudel unterschiedlicher familiärer Interessen und gesellschaftlicher Erwartungen. Zwischen den Liebenden sind Eifersucht und Besitzergreifen des Anderen große Themen. „Liebe – oder Sucht nach Dominanz“, argwöhnt Gabrielle nicht ohne Grund.

Das Wort „genderfluid“ gab's damals noch nicht, aber genau diese Doppelrolle von Gabriel/Gabrielle überfordert ihn/sie genau so wie alle anderen. Der Hauslehrer (Maximilian Paier) ist väterlich verständnisvoller Freund für Gabrielle, aber er wird bis zuletzt „er“ sagen zu ihr. Und sie muss erfahren, wie „schwer es ist, darauf zu verzichten, Mann zu sein“.

Eva Musil hat für die unprätentiöse Inszenierung von Sarah Henker ein so simples wie raffiniertes Bünenbild erdacht. Ein Halbrund aus weißen Stofflamellen, hinter denen sich die gefährlichen Schatten abzeichnen: Lauscher, Halb-Versteher, vielleicht auch personifizierte Vorurteile. Zwei verschiebbare kleine Wandelemente kann man aufklappen, es sind dann große Spiegel. Die Kostüme sind unauffällig heutig.

Zwischen die Spielszenen hat Larissa Mota Choreographien gesetzt, ein anregend-intensives Körpertheater, das die Darsteller herausfordert und nochmal die Spannungen verbildlicht, die diese Bühnenfiguren durchleben. Da müssen sich auch die Stichwortbringer (teils in Doppelrollen) bewähren: Larissa Enzi, Matthias Hermann und vor allem Axel Meinhardt, der als Fürst von Brabante den alten Fiesling raushängen lassen kann: „Ich habe Herzen bluten lassen, und jetzt wird noch eines bluten. Was soll's?“

Aufführungen bis 30. Mai in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: SLT / Raffael Holzinger