Glücklicherweise wieder ziemlich analog

SOMMERAKADEMIE BILDENDE KUNST

23/08/22 „Die Sommerakademie hat sich sehr verändert“, sagt eine ältere Dame. Sie hat den Überblick, weil sie schon zum zwanzigsten Mal dran teilnimmt. „Und ich mich auch“, fügt sie an. Solche Veränderung ist gut. Und Sinn der Sache. Seit 69 Jahren.

Von Reinhard Kriechbaum

Warum hat sich diese „Sommerakademie-Professionistin“ heuer gerade für den Kurs von Maria Bussmann entschieden? Angesprochen habe sie, dass man „nur einen Stift und einen Rqadiergummi braucht“. In früheren Jahren sei man ohne Laptop, Internet und dergleichen nicht ausgekommen. Diesen Eindruck muss man ein wenig relativieren: Gerade der früheren Leiterin der Sommerakademie für Bildende Kunst, Hildegund Amanshauser, waren eben nicht nur der Kunst-Diskurs und neue Ausdrucksformen, sondern auch das rein Handwerkliche ein großes Anliegen.

Gegen Ende der drei Kursperioden lädt die Sommerakademie immer Journalisten zu einem Rundgang auf die Festung. Da findet sich freilich in vielen der großen Räume bestätigt: Der Laptop ist ein unverzichtbares Handwerkszeug. Aber Farbtopf und -rolle, Radiernadel und Kupferplatte, Säurebad und Druckpresse – letztere mutet beinahe archaisch an– gehören immer noch dazu.

Maria Bussmann bringe „Zeichnen und Genderkunst zusammen“ erklärt die Sommerakademieleiterin Sophie Golz, und aus der Künstlerin sprudelt es heraus: „Heute haben wir schon eine Stunde Hannah Arendt gelesen.“ In Hellbrunn habe man sich nach mythischen Frauenfiguren umgesehen (lange suchen braucht man da nicht). „Wir denken und lesen gemeinsam.“ Jetzt sitzen die Teilnehmerinnen mit ihren Stiften da und zeichnen auf Papier, das an die Wand getickert ist. Oder in Blöcken auf den Tischen. Herrlich analog.

Siebzehn Kurse haben heuer auf der Festung stattgefunden, dazu kam der übliche Bildhauer-Kurs im Untersberg-Steinbruch in Fürstenbrunn. Und noch einer in Kassel, bei der dokumenta 15. Deren umstrittene Kuratoren, ruangrupa aus Indonesien, waren im Vorjahr in Salzburg. Jetzt sind die Sommerakademie-Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich für deren außereuropäische, integrative Anregungen interessiert haben, also nach Kassel gefahren. Das wird aber nicht in Serie gehen, sagt Sophie Goltz.

450 Leute haben sich für die Stipendien beworben, dreihundert haben sich angemeldet und 233 aus 48 Ländern sind schließlich gekommen. Gemeinsam mit dem Land Salzburg und der Erste Stiftung wurden 16 Stipendien an Geflüchtete insbesondere aus der Ukraine vergeben.

In diesem Jahr gab es einen Schwerpunkt auf Performance und Indigenität (Léuli Eshrāghi aus Australien, Angelo Plessas aus Griechenland, Tracey Rose aus Südafrika) sowie die Weiterführung des Fokus aus dem letzten Jahr, der Community-orientierten Praxis. Für diese Richtung standen die Polin Malgorzata Mirga-Tas und die ruangrupa mit Ayşe Güleç aus der Türkei. Auch die Frage des Archivs in der Kunst spielte in vielen Kursen eine wichtige Rolle (Leon Kahane aus Deutschland, Wasif Munem aus Bangladesh, Francis Ruyter aus den USA und Hannah Tilson aus Großbritannien).Ohne Feminismus geht’s sowieso nicht, Bezüge darauf nahmen die Kurse von Maria Bussmann (Wien), Anna Daučíková (Slowakei) und Christina Dimitriadis (Griechenland). An Internationalität fehlt es nicht.

Wem all diese Schlagwörter gar zu sehr nach Kuratoren-Kauderwelsch klingen: Durch ein paar enge, romantische Gänge kommt man in einen Raum etwas abseits, der als Bibliothek dient. Dort „amtiert“ gerade die Kunstkritikerin und Publizistion Jennifer Higgie (Australien/Großbritannien). Einige junge Damen sitzen am Laptop und tippen konzentriert. Hier kann man also das Schreiben über Kunst üben und verfeinern. Nicht nur das Kritiken-Schreiben, wie Higgie betont, es wollen ja auch Katalogtexte und dergleichen formuliert sein. „Good writing is good writing“, sagt sie, und das klingt aus tiefster Seele kommend. Da fühlen wir Journalisten uns gleich irgendwie zuhause.

In der Galerie Kunst im Traklhaus ist noch bis zum 10. September die Ausstellung Just Barely Possibly Maybe zu sehen. Für ihre erste Einzelausstellung in Österreich hat die in München ansässige Künstlerin Flaka Haliti das Künstlerkollektiv Metahaven und den Architekten Markus Miessen eingeladen, gemeinsam einen sozialen Raum für Kunst einzurichten, eine Diskurs-Bar. In ihren Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Installationen untersucht Flaka Haliti eine Welt „digitaler Posthumanität“.

Das Reden über Kunst darf nicht zu kurz kommen, auch die Salzburger will man neugierig machen. Das läuft ein bisserl zäh, aber immerhin haben etwa sechstausend Besucherinnen und Besucher die Ausstellungen und die Veranstaltungen an verschiedenen Orten wahrgenommen. Das ist so wenig auch wieder nicht. Dagegen nehmen sich die bis gestern (22.8.) 530 Aufrufe der aktuell ins Netz gestellten YouTube-Videos bescheiden aus: Trostreich eigentlich, dass Bildende Kunst immer noch nicht posthuman digital ist, sondern nach real-humanem Anschauen ruft.

Im nächsten Jahr wird die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst siebzig Jahre alt. Kokoschkas Idee von der Schule des Sehens soll da „fiktional befragt“ werden. Dazu wird man auch mit der Kunsthalle Wien kooperieren. Der Schwerpunkt im Sommer soll auf erweiterter Malerei liegen, miteinbezogen werden Performance, Szenographie, Film und Installation. Also ein Mix, wie er ohnedies jedes Jahr in den Sommerakademie-Klassen anzutreffen ist. Und wenn die eingangs zitierte Dame zum 21. Mal kommt, womit gewiss zu rechnen ist, wird sie sicherlich auch wieder analoge Angebote finden.

Die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst dauert bis 27. August. Am Freitag (26.8.) von 17 bis 21 Uhr und am Samstag (27.8.) von 10 bis 13 Uhr gibt es auf der Festung Open Studios – www.summeracademy.at 
Bilder: dpk-krie