Historische Wahrheit in der Giftabteilung

HAUS DER NATUR / TIBETSCHAU

21/11/19 Gleich hinter der stets sehr bevölkerten Saurier-Halle den Gang hinein: Das ist der Platz der Tibet-Dioramen. Sie sind, ob man nun will oder nicht, ein Stück Museumsgeschichte. Die Entstehung dieser Dioramen liegt in dunkelbraunster NS-Zeit. Nun vermittelt das Haus der Natur hier seine Vergangenheit.

Von Reinhard Kriechbaum

Ja, es ist – ideologisch gesehen – eine Giftabteilung. Die ursprünglichen Tibet-Dioramen wurden für die sogenannte „Tibetschau“ konzipiert, die im Januar 1943 im alten Haus der Natur in der Hofstallkaserne (dem heutigen Großen Festspielhaus) eröffnet wurde. Sie stellen Szenen aus dem Tibet der 1930er-Jahre dar und waren das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Museumsdirektor Eduard Paul Tratz und Ernst Schäfer sowie dessen Mitarbeitern, die 1938/39 im Rahmen einer von der SS mitfinanzierten Tibet-Expedition das damals von der Außenwelt hermetisch abgesperrte Land besuchten.

Worum es den Nationalsozialisten ging bei diesem Forschungsvorhaben: Man erhoffte indogermanisches „Ariertum“ mit scharlatanisch angehauchter, jedenfalls ideologisch gelenkter naturkundlicher Forschung dingfest zu machen. In Tibet sei man quasi an der Quelle des Indogermanentums – das war die , so die Hypothese, die es tunlichst „wissenschaftlich“ zu beweisen galt.

Für das Salzburger Haus der Natur – es hieß ursprünglich „Museum für darstellende und angewandte Naturkunde“ – hatte dessen Gründer Eduard Paul Tratz ein Konzept erarbeitet, das Mensch und Natur in engen Zusammenhang setzte. Es war gesellschafts-und gegenwartsorientiert und wollte die breite Bevölkerung erreichen. Ein solcher Ansatz war damals sehr neu (er kam aus dem angelsächsischen Raum). Ab 1937 hieß das Museum dann Haus der Natur. Genau diese Ausrichtung am Menschen sollte sich als fatal erweisen. Für die „SS-Ahnenforschung“ war ein solches Haus – und ein sich politisch so willfährig in den Dienst der bösen Sache stellende Direktor – Gold wert.

Unmittelbar nach dem Anschluss hatte Tratz Änderungen ganz im Sinn der neuen Machthaber vorgenommen: Ein Saal „Lebensgeschichte“ etwa zeigte „höher-„ und „minderwertigere“ „Menschenrassen“. Zehn Abformungen von „Rassen und Typen des deutschen Volkes und ihrer Parasiten“ wurden angekauft. Darunter befanden sich auch zwei Abformungen von jüdischen Männern aus dem KZ Dachau. Sie wurden als dreidimensionale biologistische Belege einer „minderwertigen Rasse“ in die Schau integriert.

In diesem geistigen Umfeld also gestalteten Ernst Schäfer und Eduard Paul Tratz ein großes Landschaftsdiorama „Steppenlandschaft aus Süd-Tibet“. Außerdem ließen sie zwei Kleindioramen erstellen, die das Ritual der Leichenzerschneidung sowie den Potala-Palast zeigten.

Einer der Teilnehmer der Tibet-Expedition, der Anthropologe Bruno Beger, sowie der an der Dioramenerstellung beteiligte Präparator Willi Gabel, waren 1943 in Deutschland auch an NS- Verbrechen beteiligt. Hierfür wurde Bruno Beger 1974 zusammen mit weiteren Beteiligten vor dem Landesgericht Frankfurt wegen Beihilfe zu 86-fachem Mord angeklagt und verurteilt. Mit den bisherigen Informationstafeln bei den Dioramen war der heiklen Sache jedenfalls nur unzureichend Genüge getan. Wer liest schon Beipackzettel?

Im Jahr 2014 präsentierte das Haus der Natur eine kritische Darstellung seiner Geschichte in Form einer umfassenden Sonderausstellung mit dem Titel „Das Haus der Natur 1924 bis 1976 – Die Ära Tratz“. Schon damals stand der Gedanke im Hintergrund, diese zeithistorische Aufarbeitung später an einem geeigneten Ort in die Dauerausstellung einfließen zu lassen. „Hierfür bot sich klar der Bereich der Tibet-Dioramen an – ein außergewöhnlicher Ausstellungsbereich, dessen Entstehungsgeschichte unmittelbar auf die Geschichte des Museums in der NS-Zeit zurückgeht“, so der Direktor seit 2009, Norbert Winding.

Die Figuren im Diorama stellen zum Teil namentlich bekannte Personen dar. Die Gesichtsplastiken wurden von Willi Gabel auf Basis mitgebrachter Fotovorlagen angefertigt. Wie aktuelle Archivrecherchen und Untersuchungen der Figuren mittels Röntgen und CT-Scans zeigten, basieren sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht – wie Tratz einmal behauptet hatte – auf den Abformungen, die der Expeditionsteilnehmer Bruno Beger in Tibet angefertigt hatte.

Die Originaldioramen der Tibetschau von 1943 wurden 1956 zerstört, als das Museum von der Hofstallkaserne an den heutigen Standort übersiedeln musste. Zwischen 1957 und 1959 wurden die hier bis heute gezeigten Dioramen von Wolfgang Graßberger in Anlehnung an die ursprüngliche Darstellung und unter Verwendung der Originalobjekte neu aufgebaut.

„Ihre Entstehungsgeschichte setzt sie zwar in einen historisch belasteten Kontext, sie stellen jedoch eine einzigartige, meisterhafte Präsentation des alten Tibet dar und vermitteln keinerlei ideologischen Bezug zur NS-Zeit“, betont man im Haus der Natur.

In den vergangenen Jahren wurden alle Dioramen von Grund auf durch Georg Klingersberger restauriert, unterstützt vor allem von Renate Hochmayer und Franz Putz. Gleichzeitig integriert das Haus der Natur in diesen Bereich eine Ausstellung zur Geschichte der Dioramen sowie des Museums von 1924 bis heute. Gewissermaßen als Einleitung dazu schufen Georg Klingersberger und Stephan Macala ein neues Diorama „Bartgeier in Salzburg“, eine Nachbildung des ersten großen Dioramas aus dem Jahr 1924. Vier große Leuchttafeln erzählen schließlich von der Geschichte des Museums, zwei Monitore vermitteln Blicke in die Ausstellungen sowohl aus dem „alten“ Haus der Natur als auch aus der Epoche am jetzigen Standort.

Bilder: Haus der Natur
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