Altes Zeug muss nicht sooo fad sein!

FESTSPIELE / CANTANDO ADMONT

07/08/20 Im Zyklus Still live. Zeit mit Feldman im ursprünglichen Festspielprogramm wären sie ebenfalls zu Gast gewesen, immerhin an der Seite des Klangforums Wien unter Sylvain Cambreling. Nun sangen Cantando Admont auf sich allein gestellt alte und neue Vokalwerke. Zwei von drei Komponisten – Francesco Rovigo und Beat Furrer – haben „Graz-Bezug“.

Von Heidemarie Klabacher

So viele Komponisten laufen diesen Festspielsommer nicht herum. Welch schönes Zeichen der Wertschätzung also, dass Beat Furrer zur Aufführung seines Psalms Gloria tibi Domine für achtstimmigen Chor a cappella in der Kollegienkirche nach Salzburg gekommen ist. Grazer unter sich, sozusagen: Das 1998 im Stift St. Lambrecht von Studierenden der Musikuniversität Graz uraufgeführte Vokalstück auf einen frühmittelalterlichen Auferstehungspreis besticht durch glasklar voneinander abgesetzte Akkorde, die bei weitem keinen reine Jubelstimmung evozieren, sondern die Schrecken des Todes noch spürbar in den Knochen haben. Das geht direkt über in den zweiten Teil des Stücks basierend auf einem Gedicht des österreichischen Dichters und Performers Christian Loidl (1957-2001). Über den sanfter gewordenen aber streng weitergeführten Staccato-Akkorden der Männerstimmen entfalten die Frauenstimmen eine große Kantilene. Das in Graz beheimatete Ensemble für alte und neue Vokalmusik Cantando Admont hat unter der Leitung seiner Gründerin Cordula Bürgi dieses formal kleine, doch gehalt- und reizvolle Vokalstück virtuos gestaltet.

Das gilt auch für Luigi Nonos Sarà dolce tacere. Gesänge für acht Solostimmen aus La terra e la morte von Cesare Pavese. Da es im ursprünglichen Festspielprogramm nicht vorkommt, muss Sarà dolce tacere für das „modifizierte“ Programm bewusst ausgewählt worden sein – mit seinem schwerblütigen, aus der Schwüle einer Landschaft aufsteigenden Text, über dem der Tod steht. War es von der Ersatz-Programm-Dramaturgie so gemeint, wie es angekommen ist? Als gut verborgener Kommentar zur „Krise“? Immerhin sitzt inzwischen ein Gutteil des Publikums mit Schutzmaske im Konzert. Cantando Admont jedenfalls haben die schwebenden Klangfarben des komplexen Vokalwerks im Hallraum der Kollegienkirche zu betörender Wirkung gebracht.

Dagegen scheint die Lebensgeschichte des Komponisten Francesco Rovigo (1541-1597) – aus dem Nichts über Mantua nach Graz und, nur widerstrebend, zurück an den Hof der Gonzaga – deutlich abwechslungsreicher gewesen sein als die Interpretation seiner Missa in Dominicis diebus a 5 durch Cantando Admont.

Es war eine technisch wie klanglich untadelige Wiedergabe, der es nicht an Klangschönheit, sondern an Lebendigkeit gebrach. Sooo fad und inhaltlich unergiebig ist der lateinische Mess-Text dann auch wieder nicht, als dass man ihn ohne innere Spannung und gestaltende Phrasierung absingen müsste. Die Kollegienkirche spielt ohnehin (auch ungefragt) mit als Dolby-Surround-Anlage. Den Klang liefert der Raum, die Gestaltung nicht. Ob mit Pauken und Trompeten oder acapella: Das Laudamus te muss mitreißen, das Crucifixus wehtun.

Francesco Rovigo schrieb für den Hof zu Mantua erste „Alternatim-Messen“: Einstimmiger Choral und mehrstimmige Polyphonie wechseln da einander ab. Gregorianischer Choral will nicht spirituell zudröhnen. Er will mit genauester Text-Deutung höchste Aufmerksamkeit für das Wort hervorkitzeln. Das erfordert in der Wiedergabe nicht welt-entrückende Klangwolke, sondern geist-schärfende Textgestaltung (dann stellt sich übrigens meist auch die Textverständlichkeit ein) und gedanken-scharfe Phrasierung. Woher soll die Energie für die mehrstimmigen Teile kommen, wenn schon die einstimmigen in feierlicher Leblosigkeit daherkommen? Ein Vokalensemble von fünf hervorragenden Vokalisten (den Alt sang eine Dame) singt nun mal ohne Dirigenten. Ein Tempo-Macher, eine Phrasen-Gestalterin, hätte aus dem bloßen Schönklang Funken geschlagen.

Bilder: SF / Marco Borelli