Netrebko und Mafia auf Engelsburg

FESTSPIELE / TOSCA

22/08/21 Anna Netrebko steigt für ihre Salzburg Acts seit einigen Jahren in das jeweils kostbarste Kleid der Festspielgeschichte. Erinnert sei an den Tüll-Traum in Grau-Blau für die konzertante (!) Manon Lescaut vor fünf Jahren. Nun wieder Puccini. Als Tosca singt die Netrebko in schwarz-roter, trotz 40.000 Kristalle, beinahe schlichter Robe. Elegant fließend, dunkel schimmernd. Kleid und Stimme.

Von Heidemarie Klabacher

Der Morgenstern rechts vom Petersdom. Funkelte der vor fünf Jahren auch schon über dem Showdown über den Dächern von Rom? Die Marienstatue, an der Mario Cavaradossi herumbosseln muss, statt einfach ein Bild malen zu dürfen, steht immer noch herum. Floria Toscas Aufforderung „Aber mal ihr schwarze Augen“ geht immer zu Herzen, aber – an einen Bildhauer gerichtet – noch immer ins Leere.

Es ist die Übernahme der Inszenierung von Michael Sturminger für die Osterfestspielen 2018 damals mit Christian Thielemann am Pult der Staatskapelle Dresden. Erinnert wird der Eindruck einer Story im kirchen-politisch-sozialen Setting des 19. Jahrhunderts voller unaufgelöster zeitgenössischer Einsprengsel. 2021 erzählt die Inszenierung eine zeitlos-überzeitliche Räuberpistole in denkmalgeschützten Gemäuern, die sich die römische Mafia unter den Nagel gerissen hat.

Die Ur-Tosca in der mafiös angehauchten Produktion von Michael Sturminger sang 2018 Anja Harteros. Diese hat ihre Mitwirkung an der konzertanten Aufführung heuer zu Pfingsten abgesagt und die Tosca-Staffel an Einspringerin Anna Netrebko weitergeben – welche nun in der szenischen Wiederaufnahme eine Sängerin spielt, die Tosca spielt. Ihr routinierter Auftritt als Diva im ersten Akt hätte auch ein Foto-Shooting für die Presse sein können. Für ihre zentrale Arie Vissi d'arte gab es gebührenden Szenenapplaus. Technisch souverän, die Sopranstimme mit vielfältigen Alt-Farben untermalt – was will man mehr. Yusif Eyvazov gibt mit souverän in die Höhe geführter Stimme überzeugend einen stimmlich wendigen, darstellerisch beinah schon quirligen Mario Cavaradossi. Er erhielt für E lucevan le stelle ebenfalls Szenenapplaus.

Il Barone Scarpia singt – geschmeidig im Timbre, präzise in Artikulation und Phrasierung – Ludovic Tézier, der schon Anja Harteros' Tosca das Leben schwer gemacht hat. Dieser Scarpia will nicht nur gefährlich sein, er ist gefährlich. Kein Mafia-Pate im sepiafarbenen Gewand eines Marlon Brando, sondern ein Manager der Korruption und des Verbrechens, der Anleihen bei Harvey Weinstein nimmt. Es lässt sich schwer in Details festmachen, und vielleicht hat sich auch einfach der Blick auf die Produktion verändert, aber Ludovic Tézier scheint an seinem Scarpia darstellerisch gefeilt zu haben. Ein eiskalter Schweinehund ist er geworden...

Marco Armiliato, der am Pult des Münchner Rundfunkorchesters 2016 die Netrebko-Eyvazovs in Manon Lescauts amerikanische Verbannung begleitet hat, führt 2021 das Sänger-Ehepaar mit vielerlei Knalleffekten in den römischen Tod. Am Pult der Wiener Philharmoniker legt er den Instrumentalisten dort Zügel an, wo es echt nötig ist und lässt im Übrigen groß und symphonisch ausspielen. Die Solisten schaffen das. Dass Floria Tosca sich erschießen lassen muss und nicht von der Engelsburg springen darf, irritiert aber noch immer.

Tosca - weitere Aufführungen am 24., 27. und am 31. August – die Aufführung am 27. August wird um 20.15 zeitversetzt übertragen auf ORF 2 und im Internet auf ARTE Concert - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Marco Borrelli (1); Matthias Horn (2)