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Stampfende Vitalität und zeitlose Archaik

FESTSPIELE / JERUSALEM QUARTET

04/08/22 Es waren wahrlich Sternstunden erfrischend erfüllten Musizierens, welche die vier Herren aus Israel boten: In der Serie Zeit mit Bartók spielte das Jerusalem Quartet am 1. und 3. August im Großen Saal des Mozarteums alle sechs Streichquartette von Béla Bartók. Es war schön, diesen großartigen Werkkomplex wieder einmal komplett und in all seinen Facetten zu hören.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Geiger Alexander Pavlovsky und Sergei Bresler, der Bratscher Ori Kam und der Cellist Kyril Zlotnikov spielen seit 1996 zusammen und wirken immer noch jugendlich in ihrem Elan und ihrem lebednigen Zugang zur Musik. Man sagt dem Ensemble eine „Goldmischung“ von „Leidenschaft, Präzision, Wärme“ nach – und dies trifft es auf den Punkt. Dazu kommt kluge Gestaltung der Programme, die von der Wiener Klassik bis zum wunderbaren Album The Yiddish Cabaret reichen. Diesmal also Bartók pur.

Im ersten Programm gab es die Quartette 1, 3 und 5, im zweiten 2, 4 und 6. Das ergibt Sinn, denn es vermittelt eine beeindruckende künstlerische Entwicklung über dreißig Jahre hinweg und bietet gleichzeitig Abwechslung. Von der Romantik des ersten Quartetts voll pastos klingendem Liebeskummer – er galt anno 1908 der Geigerin Stefi Geyer, welcher der Komponist auch sein erstes Violinkonzert widmete – bis zur Trauer über den drohenden Verlust der Heimat im Jahr 1939 geht die Reise. Wobei die Interpreten im pausenlosen op. 7 nach dem ergreifend sensibel nachgezeichneten Lento schon sehr akzentuiert die sich lebhaft ankündigende wilde Motorik und Balkan-Urkraft herausarbeiten, welche den reifen Bartók auszeichnen. Oft überraschend kontrastiert durch zarte Lyrik. Und im sechsten Quartett umrankt eine tieftraurige Melodie den geradezu wütenden Zorn von Marcia und Burletta. Ähnlich wie im späteren Konzert für Orchester stoßen beißende Parodie und schwermütige Innerlichkeit direkt aufeinander. Am Ende verklingt ein vereinsamtes Pizzicato des Cellos im Raum.

Dazwischen also erklangen an den beiden Abenden das formal Beethoven beschwörende, inhaltlich den Ersten Weltkrieg reflektierende zweite, das radikal dissonante, komprimierte dritte, das vielgestaltige, fünfsätzige vierte und das kontrapunktisch meisterhafte, gespenstisch expressive fünfte Quartett. Welch eine spannende Reise ins Experiment und zurück zu einer zeitlosen Klassizität! Bartók ist den tonalen Zentren bei aller Lust am Neuen bis hin zum Geräuschhaften ja immer treu geblieben und schöpfte dabei oft betörende Melodik und mitreißende Rhythmik aus der uralten, bäuerlichen Folklore seiner Heimat. Als solche begriff er, im Grunde Kosmopolit, nicht nur Ungarn, sondern den ganzen Balkan.

Nicht aus dem Kopf geborene zwölf aufeinander bezogene, sondern archaisch-menschliche fünf Töne spielen da eine Rolle, kein Serialismus wird zur kalten Heilsverkündung, sondern die stampfende Vitalität der Tänze und die klare Schönheit poetischer Weisen. Man kann dieses Vorgehen natürlich bis zu Joseph Haydn zurückverfolgen, doch Bartóks zwingende Verbindung von satztechnischer Komplexität mit der Flexibilität der Volksmusik war in seiner Kompromisslosigkeit und inneren Energie doch neu – und weist bis heute einen Weg aus gewissen Irrgängen der Avantgarde.

Das Jerusalem Quartet macht dies alles grandios deutlich und musiziert nicht bloß technisch perfekt, sondern in jedem Takt mit tief empfundener Emotion und leuchtender Strahlkraft. Zweimal großer Jubel im nicht ganz, aber mit erfreulich viel jungen Leuten besetzten Saal. 

Bilder: SF / Marco Borelli
 
 
 

 

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