Als die Pariser ganz spanisch wurden

FESTSPIELE / BARENBOIM / LANG LANG

12/08/22 Eine hübsche Formulierung im Programmheft: Als der folkloristische Spanien-Sound im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts so recht in Mode kam, wurde Paris „zu einem der größten Umschlagplätze für einen musikalischen Tausch- und Verarbeitungshandels, der in beide Richtungen verlief“.

Von Reinhard Kriechbaum

Mit Tauschhandel ist gemeint: Gerade die Pariser Spätromantiker und dann vor allem die Impressionisten richteten ihre Ohren voller Neugier auf die Musik auf der iberischen Halbinsel, weil da ganz unterschiedliche Kulturebenen verschmolzen, zumindest sich gegenseitig beeinflussten oder amalgamierten. So wie damals in der bildenden Kunst das Außereuropäische als reizvolle Befruchtung wahrgenommen wurde, kamen die spanischen Tanzrhythmen und Melodien in die damals zeitgenössische Musik. Meist als nachempfundener, würzender Gestus: Es waren ja Komponisten, keine Ethnologen am Werk. Spanische Komponisten ihrerseits waren nicht faul und bedienten in Paris Hörerwartungen des Publikums. Und wohl auch ihrer Kollegen.

Im zweiten Konzert des West-Eastern Divan Orchestra am Donnerstag (11.8.) gab es dafür zwei überaus anschauliche Beispiele: Daniel Barenboim ließ das Programm mit Ravels Rapsodie espagnole beginnen und Manuel de Fallas Noches en los jardines de España, ein verkapptes Klavierkonzert, unmittelbar folgen. „Hoppla Zwillinge“, wollte man da den Titel eine Radiosendung von anno dazumal zitieren. In beiden Stücken sind die Zugänge zur folkloristischen „Exotik“ ähnlich. Sowohl Maurice Ravel als auch Manuel de Falla rühren tief in den Farbtöpfen des Impressionismus, und aus der pastosen musikalischen Stimmungsmalerei purzeln dann jene Melodien hervor, zu denen man am liebsten aufspringen und tanzen möchte. Eine durchwachsene Angelegenheit aus harmonischem Taumel und Kokettieren mit dem zündend Populären. Nun wollte man meinen, der Franzose habe vom Spanier abgekupfert, es war aber nicht so. Die Rapsodie espagnole ist 1908 uraufgeführt worden, Noches erst 1916.

Lang Lang war der Solist, und das ist Musik wie zugeschnitten für ihn. Glasklar lässt er die Ton-Girlanden funkeln, egal ob sich in ihnen Nachtschattierungen brechen oder das klare Licht „de la Sierra de Córdoba“. Melodie-Höhepunkte sind stets mit punktgenauen pianistischen Entladungen verbunden und es gibt Glissandi bergauf und bergab, dass es eine Freude ist. Und dazwischen eben das auch oft unbestimmte orchestrale Chroma. Sagen wir ein bisserl boshaft: Für die Siesta in der spanischen Hitze war arbeitsteilig Barenboim zuständig.

Irgendwie hat sich an dem Abend, der ausschließlich dem Spanien-Sound gewidmet war, schon auch die Frage gestellt: Wieviel koloristische Musik dieser Art ist en bloc zu und erträglich? Immerhin wird man auf diese Länge qualitativer Unterschiede gewahr. Mit der Ibéria-Suite, ebenfalls im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden, spielte Claude Debussy ist eine anderen Klasse. Les Parfums de la nuit übermittelten Barenboim und seine Musiker in sagenhaft feinen Abmischungen.

Ravels zeitlich ja viel späterer Boléro (1928/30) gehört nicht mehr zur „Spanien-Mode“, da sind Rhythmus und Melodie nur mehr Ausgangspunkt für ein Instrumentations- und Dramaturgie-Experiment. Da hat der altersweise Daniel Barenboim (am 15. November wird er achtzig) nur ganz wenige Anweisungen gegeben, vor allem zugehört, was die brillanten Bläserinnen und Bläser des West-Eastern Divan Orchestra anzubieten haben. Und das ist viel. Es war ein fulminanter Abschluss.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli