Aus Liebe geboren

FESTSPIELE / ARCADI VOLODOS

14/04/22 Bei Schubert war es die Liebe zur Natur. Schumann ließ sich von der Muse, sprich, einer jungen Dame küssen, die später seine Frau wurde.  Das Solistenkonzert von Arcadi Volodos und unglaubliche Pianokultur vom Wiegen des schlummernden Kindes bis ins ertastete Nichts.

Von Erhard Petzel             

Schuberts Sonate für Klavier D-Dur D 850 erhielt nach ihrer Entstehungsumgebung den Beinamen Gasteiner. Die ist entstanden auf seiner Reise durch Salzkammergut und Alpen bis nach Salzburg. Es war die einzige seines Lebens, die ihn über den Wienerwald hinaus führte, entsprechend überschwänglich war der Komponist ob der Landschaften. Der Impuls aus dieser Begeisterung, der dem Werk zugrunde liegt, wird im präzisen Spiel von Arcadi Volodos deutlich herausgearbeitet. Das markante Thema des Kopfsatzes ertönt energisch, aber ohne Pathos, die Leitergirlanden umperlen es präzis und unaufgeregt. Transparent setzt der von Posen freie Interpret die Phrasen in ihrer inneren Differenzierung um und schattiert in großem Bogen die strukturellen Zusammenhänge. Knackige Akzente tragen nicht nur heroischen Ausdruck, sondern scheuchen auch in feiner Umgebung auf, ohne eine generelle Gelassenheit vermissen zu lassen. Das Schwelgen in den Akkorden vermittelt gespannte Ruhe, delikat das Zusammenspiel der punktierten Akkorde zu den Läufen. Mächtig baut sich die Coda auf.

Con moto erfüllt Volodos mit einem innigen Choral voll süßer Seelenruhe, nach Aufbrausen findet er dorthin zurück. Sehnsuchtsdrängen in den Variationen und mystische Überleitungen, heitere Verspieltheit und viel Zeit im elastischen Stocken der Phrasen. Und immer ein Zurückfallen nach heroischen Aufschwüngen und starrsinnigem Insistieren. Thematisch und in seinen ausladenden Dimensionen korrespondiert das bewegte Scherzo mit seinen Vorgängern und findet im Trio seinen sanften Kontrast. Hier spürt man am deutlichsten die Impulse aus der Landschaft und der Musik ihrer Bewohner. In neckischer Melancholie wiegt das Rondothema in beunruhigender Scheinsicherheit, bis sie gespenstisch zerwurlt wird. Linke und rechte Hand werfen sich ein Call und Response zu, durch das sich Läufe unbeirrt jagen. Dazwischen Erzählung und Drama, bis sich das melancholisch zerzauste Thema im Pianississimo aushaucht. Fortissimo im Zwischenapplaus.

War es die schwärmerische Liebe zur Naturlandschaft bei Schubert, fand Schumann selbige in seiner blutjungen Clara, die seine Kinderszenen op. 15 als intimes Band zwischen beiden zu empfinden bereit sich zeigte. Dessen Zartheit scheint es Volodos im Solistenkonzert am Samstag (13.8.) besonders angetan zu haben. Eine entspannte Betrachtung fremder Länder und Menschen lässt er in kaum mehr hörbaren Tönen ausklingen. Eine unglaubliche Pianokultur aus dem Wiegen des einschlummernden Kindes ins ertastete Nichts.

Grundsätzlich bleibt Volodos aber auch im Fortissimo eines Steckenpferd-Ritters in der Reserve, ein Herausbrüllen scheint ihm zuwider. Lieber verzweigt er sich in klar heraus gemeißelten Kontrapunkten am Kamin, nachdem er in der Träumerei Schlussversunkenheit dem Zyklus eine deutliche Halbzeit-Zäsur setzt. Das Grüblerische des abschließenden Dichters scheint nicht nur Schumanns Naturell, sondern auch dem des Interpreten besonders zu entsprechen.

Den Abschluss bildet Schumanns Fantasie C-Dur op. 17, bei der man sogleich an Liszt denkt, dem sie gewidmet ist. Hier ist nicht allein die Liebe zu Clara treibende Kraft, die Fantasie sollte auch ein Monument Beethovens in Bonn zu seinem zehnten Todestag unterstützen, was sich auch im ursprünglichen Titel der Komposition 1836 widerspiegelte. Nicht nur die Herausgabe des Stückes sollte sich verzögern, sondern auch das Monument, das dann zum 75. Geburtstag Beethovens aufgestellt wurde. Zitate aus Beethovens Werk fügen sich inhaltlich zum eigenen Liebesleiden.

Phantastisch und leidenschaftlich soll der Charakter des Eingangssatzes sein, der sich äußerst bewegt in rhapsodisch sich kontrastierenden Einheiten entwickelt. Mäßig und energisch die Anforderung des Komponisten an den Mittelsatz, in dem marschierende Punktierte zu komplexer Bewegung geführt sind. Der heroischen Haltung steht ein lyrisches Trio entgegen, das durch Gegenschläge geohrfeigt in eine kontrapunktische Stretta flüchtet, die – bevor sie einen Applaus provozieren könnte – unmittelbar in den liedhaften langsamen Schlusssatz mündet. Großer Applaus mit trommelnden Händen und Füßen erstreckt sich über vier kleine behutsame Zugaben.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli