Auf Freundin Eichhörnchen ist Verlass

FESTSPIELE / DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE

04/08/23 Die junge Dame ist gleichermaßen verwöhnt wie geknechtet von der ehrgeizigen und strengen Frau Mama. In ihrem Kinderzimmer gibt’s zwar Spielzeug in ausreichendem Maße, aber andere Kinder nimmt das Mädchen nur als Stimmen vor dem Fenster wahr. Das Kind ist eingesperrt und mit Schulaufgaben eingedeckt.

FESTSPIELE / DAS KIND UND DIE ZAUBERDINGE

04/08/23 Die junge Dame ist gleichermaßen verwöhnt wie geknechtet von der ehrgeizigen und strengen Frau Mama. In ihrem Kinderzimmer gibt’s zwar Spielzeug in ausreichendem Maße, aber andere Kinder nimmt das Mädchen nur als Stimmen vor dem Fenster wahr. Das Kind ist eingesperrt und mit Schulaufgaben eingedeckt.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Musikwelt ist dann doch kleiner und nationaler orientiert als man ihr gemeinhin zuschreibt. Wem ist schon mal die Kinderoper L’enfant et les sortilèges von Maurice Ravel untergekommen? Die Festspiele bieten diese Produktion heuer für Kinder an, unter deutschem Titel Das Kind und die Zauberdinge. Das 1925 uraufgeführte Stück ist mehr als eine Petitesse – eine anspruchsvolle Musik, die sich nicht anbiedert.

Die Originalhandlung – sie spielt in einem Landhaus in der Normandie – hat man vorsichtig in ein Setting übertragen, das heutigen Kindern wohl näher ist. Das Kind ist aus gutem Grund frustriert ob der elterlich verordneten sozialen Isolation und lässt seinen zerstörerischen Grant an den Dingen und Haustieren aus. Die zum Leben erwachenden Dinge und die Tiere wissen sich zu wehren.

In der aktuellen Version sind Katze, Libelle, Frosch und Konsorten die Spitznamen einer Schar elternloser Straßenkinder, die mit Neid auf den verwöhnten Fratz im pinken Kinderzimmer-Eldorado schauen. Sie müssen mit den kaputten Überresten des Spielzeugs Vorlieb nehmen. Kein Wunder, dass das Kind, nachdem es ausgebrochen ist aus dem schützenden Kokon, erst mal sozial ausgegrenzt wird. Aber da ist eine Freundin, das Eichhörnchen, das für einen Meinungsumschwung in der Kinder-/Tierschar sorgt...

Die Aufführung im Schauspielhaus Salzburg ist den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Young Singers Project der Festspiele anvertraut. Das ist gut und schlecht zugleich. Gut, weil damit ein hoher sängerischer Level gesichert ist. Ravel singt sich ja nicht von allein. Schlecht freilich auch, weil diese Leute aus vieler Herren Länder kommen: Österreich, Italien, Spanien, Niederlande, Polen, Großbritannien, Armenien, Kolumbien – entsprechend polyglott hört sich die Sache an. Es wird auf Deutsch gesungen, aber mit der Textverständlichkeit ist es nicht weit her. Da muss man sich selbst als Opern-geeichter erwachsener Musikhörer recht anstrengen.

Das Problem dürfte den Verantwortlichen von vornherein bewusst gewesen sein, jedenfalls setzt man auf Ausstattungsopulenz sondergleichen. Was für nette und anschauliche Einzelheiten Selina Nowak eingefallen sind! Die meisten Darstellerinnen und Darsteller müssen mehrere Rollen aus der Ding-, Tier- und Kinderwelt übernehmen. Aus der einem Comic entsprungenen Prinzessin wird ein Lehnstuhl und dann eine Fledermaus, die Mutter ist auch Teetasse und Libelle. Aus der ob des Zerbrechens erbosten Teekanne wird der dem Laptop entsprungene Mathematiker mit dem Outfit Albert Einsteins. Da gibt’s also für alle Altersstufen nicht wenig zu schauen, und irgendwie werden die Kinder schon Inhalt und soziale Botschaft mitbekommen.

Das Kind ist Johanna Rosa Falkinger. Die versteht man wirklich gut, sie ist ja die einzige Muttersprachlerin in der buntscheckigen Runde. Ihr Kinderzimmer ist ein riesiger Luftreifen mit einem großen Deckenspiegel drüber. Der Kontrast könnte nicht größer sein zur halbdunklen Müllspielzeugwelt der Straßenkinder schräg dahinter.

Seitlich links sitzen die Musiker. Anna Handler dirigiert dieses Mini-Orchester. Die Originalpartitur ist nämlich auf Flöte, Violoncello und vierhändiges Klavier eingekocht. Das kostet natürlich viele, viele Klangfarben, dafür kommt der neoklassizistische Impetus von Ravels Musik gut heraus. So disparat die Sängerschar ist, Witz und Ironie der Gesangsnummern kommendennoch gut heraus. Und die Chornummern (im Original wär's ein Kinderchor) sind fein gearbeitet.

Aufführungen bis 27. August im Schauspielhaus Salzburg – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli