Sooo geht Oper

FESTSPIELE / THE GREEK PASSION

14/08/23 Einheimische verjagen Flüchtlinge zusammen mit den wenigen Dörflern, die den Armen geholfen haben. Der Rädelsführer der Menschlichen wird vom fanatischen Priester exkommuniziert, vom Mob gelyncht. Alles so plakativ, wie brandaktuell. Leider sind die Hauptfiguren der Oper auch Hauptfiguren in einem Passionsspiel. Man fühlt sich 2½ Stunden lang zwangs-katechisiert – freilich in einer grandiosen Aufführung bei grandioser Musik.

Von Heidemarie Klabacher

Die Bühne der Felsenreitschule ist leer. Die Arkaden sind, bis auf die oberste Reihe als Fluchtweg, mit einer weißen Wand zugestellt. Umrisse von Fenster- und Bodenöffnungen sind erkennbar. In diesem sterilen Setting feiert die Dorfgemeinschaft Ostern: Erste Begegnung mit der Musik von Bohuslav Martinů samt festlichem Hymnensang und Glockenklang. Ah, das wird wird eine Choroper! Tatsächlich bilden die Dorfgemeinschaft und die Gruppe der Flüchtlinge als Chöre das Herzstück der Musik, die sich nach Herzenlust durch Liturgien, Volksmusiken und Genres zitieren wird. In Topform die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Huw Rhys James: Textdeutlich und transparent im Klang wird die Originalsprache Englisch gesungen. Ganz wunderbar der von Wolfgang Götz geleitete Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor: Die Flüchtlinge haben viele Kinder bei sich, die auch unter den schlimmen Umständen zu spielen beginnen.

Nach der Liturgie in der Dorfkirche, es muss Ostersonntag sein, verteilt der Priester die Rollen für das Passionsspiel im nächsten Jahr. Nachdenklichkeit bei Sara Jakubiak als Katerina, der künftigen Maria Magdalena (die ihr biblisch-schlechtes Image letztlich stolz akzeptieren und vom Auditorium bejubelt werden wird). Stolz und riesige Freude beim fröhlichen Yannakos, dem erkorenen Petrus (dargestellt von Charles Workman, dem erkorenen Liebling des Publikums). Nett Yannakos' (echtes) Eselein, das im Passionsspiel beim Einzug des Herrn in Jerusalem für eine zenrale Rolle gebucht ist und schon jetzt kaum von der Bühne zu bringen ist.

Julian Hubbard als Panais sträubt sich gegen die Rolle des Judas und wird der Erste sein, der zusticht  beim „Doppelmord“ an Christus/Manolios: Sebastian Kohlhepp ist grandiose Sänger und charismatische Darsteller dieser erstaunlich glaubwürdigen Figur, der es wie allen wahrhaft guten Menschen gar nicht wohl ergeht.

Dass Manolios im Zuge seiner Christus-Rollen-Betrachtung anfangen wird, mit Ehelosigkeit und Keuschheit zu liebäugeln, trifft seine Verlobte Lenio (die wunderbare Sängerin und Darstellerin Christina Gansch hat keinen Gegen-Part im Mysterienspiel). Hier ist also ein „privater“ Handlungsstrang zu vermerken. Die Glaubenswende trifft auch Katerina/Magdalena, die von Manolios bald „Schwester“ genannt und sich daraufhin selber Christus zuwenden wird. Wunderbar gesungen (in allen, auch in den vielen kleinen und kleinsten Partien) wird auch auf der anderen Seite: Łukasz Goliński singt die Partie des Priesters Fotis, der die Geflüchteten nicht nur als Seelsorger anführt. Auch er ein Sängerdarsteller von Rang.

Maxime Pascal am Pult der Wiener Philharmoniker lässt der süffigen Musik von Bohuslav Martinů kontrolliert ihren Lauf, übertreibt in keine Richtung, hält jeden Kitsch fern, die Sache aber mit Drive am Laufen. Dabei wird Genrephrase, samt Akkordeonwalzer, genussvoll ausgespielt, jeder Hymnus delikat untermalt, jeder Schrecken mit gehöriger Schärfe untermauert.

Ein Glück für alle Beteiligten, dass Musik und aktuelle Produktion so gut sind. Sonst wäre die eindimensionale Frömmelei (die Oper basiert auf dem Roman Christus wird wieder gekreuzigt von Nikos Kazantzakis) nicht auszuhalten. Gut, dass dieses Werk gespielt wird. Aber wieso eigentlich, dies nur nebenbei, das Dauerbemühen der Intendanz, durch Oper/Musik/Schauspiel „bessere“ Menschen machen zu wollen? Zwangs-Katechisierung. Aber egal jetzt.

Da stehen sie alle. Textbuch in der Hand. Vom Priester Grigoris (Gábor Bretz gibt den radikalen Eiferer mit Überzeugung ohne Übertreibung ) heftig ermahnt, sich ihrer Rollen durch gottgefälligen Wandel das Jahr über würdig zu erweisen. Dann kommen vom Strand herauf die gestrandeten Flüchtlinge. Eine Frau stirbt vor den Augen aller, gibt damit dem Priester Gelegenheit „Cholera“ zu schreien und die Bedürftigen zu verjagen. Auf einem steinigen Hügel beziehen sie – trotz allem voller Hoffnung – Stellung...

Zu deuten und zu deuteln gibt es in der recht simplen Story wirklich nichts. Umso mehr ist die letzte szenische Opernproduktion dieser Festspiele einer jener raren Glücksfälle, in denen sich Regie und Ausstattung einzig in den Dienst der Musik stellen. Regisseur Simon Stone hat sich mit seiner radikal zurüchhaltenden Inszenierung und seiner präzisen – jedem Schauspielregisseur als Beispiel anempfohlenen – Personenführung selber übertroffen. Lizzie Clachans Bühne ist weiß. Dazu ein paar Farbtupfer von oben und unten: Ein zarter Schauer rosaroter Schnipsel von oben reicht für Frühlingsstimmung. Von unten sprühen aus Düsen direkt im Boden mehrere Farb-Gysire grasgrüne Farbe in die Luft, die sich als Wiesenflecken auf dem weißen Boden niederschlagen: Da können die (echte) Ziege und das (echte) Schaf, die Katerina den Flüchtlingen schenkt, munter grasen. Weil man schon so auf „besserer“ Mensch gedrillt war, erkannte man unschwer, dass die Schuhe der Katerina-Magdalena die zum Wiesengrün passende Farbe haben: Gutsein in kleinen Schritten zieht auch Kreise, oder so... Orange ist die von Fassaden-Kletterern life und großformatig an die Wand gesprayte Aufforderung „Refugees out“. Ganz zurecht überwältigender Beifall für alle. Aber NICHT wegen dieser Aufforderung.

Bilder: SF / Monika Rittershaus
Drei weitere Aufführungen bis 27. August – www.salzburgerfestspiele.at
Greek Passion wird von UNITEL in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen und den Wiener Philharmonikern aufgezeichnet und wie folgt gesendet/ausgestrahlt
– 19. August 19.05 Uhr im Programm Ö1
– 22. August 20 Uhr im Internet bei medici.tv
– weitere Sendetermine auf www.salzburgerfestspiele.at