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Ein Bösewicht und zwei leidende Frauen

FESTSPIELE / CANTO LIRICO / KATE LINDSEY

19/08/24 Selbst Jupiter muss sich warm anziehen, wenn er es mit einem Tyrann vom Zuschnitt des Nero zu tun kriegt. Jedenfalls lässt der Textdichter der Kantate Il Nerone von Alessandro Scarlatti den römischen Kaiser vor Selbstbewusstsein strotzen: „Ich sage euch, o Götter des Himmels: Ich will alleine herrschen!“

Von Reinhard Kriechbaum

Dass die Sonne gefälligst nach seinem Gutdünken auf- und untergehen solle – ein Apercu für einen herrscher von solchem Format. Kleinigkeit. Ein Konzert der Festspielreihe Canto lirico unter dem Motto Tiranno? Das geht, weil lirico meint ja keineswegs bloß heiteren Schöngesang. Zum Lachen gab's am Sonntag (18.8.) zur Nachmittagsstunde im Haus für Mozart nichts, eher zum Zähneklappern. Kaiser Nero, der sich in der Scarlatti-Kantate kurzerhand zum „Imperator del mondo“, zum Herrscher der Welt erklärt, hat bekanntlich nicht lang herumgefackelt: Seine erste Frau, Poppea, hat er verbannt. Und weil seine Mutter Agrippina gegen eine neuerliche Hochzeit (mit Ottavia) war, sorgte der Sohn am Kaiserthron für Intrigen und deren Hinrichtung.

Die Machenschaften eines solch unguten Zeitgenossen machen auf der Opernbühne viel her. Gleich am Anfang der Operngeschichte ließ Monteverdi in dem monodischen Gesang Addio Roma, addio patria Poppeas Emotionen in bis dahin beispielloser musikalischer Wucht aufwallen. Die amerikanische Sopranistin Kate Lindsay hat ihr Publikum die Entrüstung, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit körperhaft spüren lassen. Bis zum Schreien kostet sie die starken Gefühle der Poppea aus und gibt damit auch eine Ahnung, wie überrumpelnd Monteverdis genuin neue Musiksprache auf seine Zeitgenossen gewirkt haben mag. Wenn's uns Heutige schon so packt...

Ein Konzert mit plakativen Gefühlen. Scarlatti stellt den Bösewicht Nero in aller Bedrohlichkeit vor. Händel zeigt ihn in seiner Oper Agrippina auch als fulminanten Heuchler, der einmal seiner Mutter schmeichelt und sich ein andermal nicht weniger scheinheilig als Mildtäter ausgibt. Das ist echter Canto lirico. Kate Lindsay die mit Bravour die halsbrecherischsten Koloraturen meistert, bestach hier mit fast endlosen Kantilenen – und sie machte gerade damit Neros hohle Worte anschaulich.

Ziel und Knüller in dieser Programmfolge: Händels Kammerkantate Agrippina condotta a morire. In fünf Rezitativen, vier Arien und einer musikalisch „Scena“ inmitten (einer rezitativisch angelegten Bündelung kürzerer arioser Abschnitte) wird nicht nur das tragische Ende der Agrippina ausgemalt – es geht vor allem darum, dass die zur Hinrichtung Geführte immer noch Muttergefühle für den Sohn hegt. Da zerreden wir nichts: Kate Lindsay ist einfach eine große Gestalterin, die Seelenkämpfe fesselnd rüber bringt.

Das von Jonathan Cohen von den tasteninstrumenten aus geleitete Ensemble Arcangelo – hier in Besetzung zweier Geigen, Violoncello, Erzlaute, Cembalo/Orgel – hat auf seinen Instrumenten die entsprechend mittragende Klangrede drauf. Als Einsprengsel hat es ganz selten zu hörende Musik hören lassen, die uns Österreicher besonders interessieren sollte: von Antonio Caldara, dem Zeitgenosse von Johann Joseph Fux am Wiener Kaiserhof. Ausgewählte Sätze aus Triosonaten zeigten, auf welch eigenständigem geigerischen Niveau man sich damals auf dem glatten Wiener Parkett bewegte.

Bild: SF / Marco Borrelli

 

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