FESTSPIELE / AIMARD / NACHTKONZERT
23/08/25 Nach dem tumultuös bejubelten Solistenkonzert mit Werken von Debussy, Ravel, Messiaen und Boulez um 19 Uhr spielte Pierre-Laurent Aimard am Freitag (22.8.) um 22 Uhr im Großen Saal des Mozartums noch ein Nachtkonzert mit einem repräsentativen Querschnitt durch den zweiten Teil von Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier.
Von Heidemarie Klabacher
Wenn im ersten Konzert des Abends „das Verhältnis von Freiheit in der Form und Gebundenheit in Material und technischer Verarbeitung“ anhand der klassischen Moderne untersucht wurde, (siehe DrehPunktKultur-Bericht), dann zeigte das zweite, wo der Bartl den Most holt. Bei Johann Sebastian Bach. Pierre-Laurent Aimard spielte einen Gutteil („Nicht alles, wie Sie bemerkt haben“, sagte er vor der Zugabe zum Publikum) der Präludien und Fugen aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Ein munteres Springen durch den Quintenzirkel von BWV 870 C-Dur bis BWV 892 H-Dur mit einem leichten Überhang an Fugen.
„Präludium und Fuge“ war mit den Zyklus Das Wohltemperierten Klavier Teil I bereits fix in der Musikgeschichte verankert, als Bach gut zwanzig Jahre später (und inzwischen Thomaskantor in Leipzig) den zweiten Teil nachlegte. Der gleiche Aufbau, die Präludien durchwegs etwas länger und ihrerseits oft kontrapunktisch durchsetzt. Passte letztlich also auch gut zum ersten Konzert – Bach und Boulez als Form-, Freiheits- und Ausdruckskünstler.
Pierre-Laurent Aimard stürzte sich kopfüber in die Fuge Nr. 1 C-Dur BWV 870 und riss sein Publikum hinein in einen stupend vielgestaltigen Reigen an Klangfarben, Lautstärken, Anschlagshärten und Emotionen. Da gab es munteres Hüpfen und Springen, als wäre es das Leichteste auf der Welt, Bach zu spielen. Da dräuten in manch minimal kurzer Fugen-Exposition Unheil verkündende Tonfolgen oder Akkorde, aus denen auf der „Flucht“ oft trostvolle oder gar liebliche Klanggebilde wurden. Höfisches aus alter Zeit ließ Aimard ebenso anklingen wie er für Momente beinahe Jazziges aufzufinden wusste. Gesanglich schwebende Linien wie in BWV 891 b-Moll (also schon gegen Ende zu) werden bei Aimaird zu puren Glücksmomenten. Neben all den Farb- und Klangwundern ermöglichte Pierre-Laurent Aimard mit seiner technischen Virtuosität und intellektuellen Kenntnis der tiefsten Feinheiten der Bach'schen Kunst auch dem Zuhörer Einblicke in die Struktur der „Miniaturen“, die alles Große umfassen.
Man hat sich nur gewünscht, dieses Konzert zu einem früheren Zeitpunkt erleben zu dürfen. So logisch die beiden Programme hintereinander auch sind, 22 Uhr ist nicht lustig. Aber wenn der Künstler diesen Marathon mit solcher Leichtigkeit hinlegt, kann sich auch der Zuhörer zusammenreißen. Und weniger Husten, auch wenn es spät ist.
Solistenkonzert und Nachkonzert Aimard wurden vom ORF aufgezeichnet und werden am 25. September bzw. am 18. September jeweils um 19.30 Uhr auf Ö1 gesendet.
Bilder: SF / Marco Broggreve
Zur Besprechung des ersten Konzerts dieses Abends
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