Dirndl(n): Kleid oder Fräulein?

STICH-WORT

12/12/18 Bekanntlich trennt Österreicher von deutschen – und erst recht von den Schweizern – die gleiche Sprache. Die Tiroler sind durch über die Brenner-Autobahn gen Süden gefahren, wogegen die deutschen Stammesbrüder diese Kilometer mit einem flotten Haben hinter sich brachten.

Von Reinhard Kriechbaum

Bereits liegt in den Alpen Schnee, sagen die Schweizer, In den Alpen liegt bereits Schnee, würden die Österreicher beobachten. Wissenschaftler der Universitäten Salzburg, Zürich und Graz haben nach siebenjähriger Vorbereitung eine Variantengrammatik als Online-Nachschlagewerk herausgegeben. Heißt es Parks, Pärke oder Parke? „Beides ist zulässig“, betont Professor Stephan Elspaß vom Fachbereich Germanistik der Universität Salzburg. „Regionale Varianten in der Grammatik sind weit weniger bekannt als unterschiedlicher Wortschatz wie Marille und Aprikose“, so Elspaß. Deshalb sei es wichtig gewesen, ein Online-Nachschlagewerk zu erstellen, durch das auch der unterschiedliche Sprachgebrauch in den verschiedenen Ländern sichtbar wird, so Elspaß. Mit „Standarddeutsch“ verbinde man kein Normdeutsch, sondern jenes Deutsch, das in den einzelnen Regionen tatsächlich geschrieben wird. „Alle Varianten des Deutschen, die in der Variantengrammatik erfasst sind, sind gleichberechtigt, sie gehören zur deutschen Standardsprache“ betont man. Man wolle das als politisches Zeichen verstehen.

Genug dick oder dick genug – das ist also die Frage, nicht nur, wenn es um die nudeldicke Dirn aus dem wahrscheinlich unterdessen politisch als unkorrekt klassifizierten Kinderlied geht. Die Sache mit Dirndl, Dirndln und der eher stofflichen oder doch eher fleischlichen Erscheinungsform ist ohnedies durchwachsen.

In der Variantengrammatik wird die Vielfalt der geschriebenen deutschen Standardsprache auf der Basis von 68 regional ausgerichteten Tageszeitungen aus den verschiedenen Ländern und Regionen des deutschsprachigen Gebiets anschaulich. Mit knapp 600 Millionen Wörtern und jeweils übersichtlichen Kartendarstellungen bildet die Variantengrammatik Unterschiede im Sprachgebrauch des geschriebenen Standarddeutschen umfassend ab. Die Varianten sind für Laien verständlich beschrieben und belegt. Karten und Tabellen bieten einen guten Überblick.

Seit 2011 hat ein Team von über zwanzig Personen unter der Leitung von Stephan Elspaß (Universität Salzburg), Christa Dürscheid (Universität Zürich) und Arne Ziegler (Universität Graz) daran gearbeitet. Mehr als 1.300 Wörterbucheinträge wurden verfasst. Die Variation betrifft verschiedene Bereiche der Grammatik. So kann das Wort Park je nach Region andere Pluralvarianten haben (Parks, Pärke oder Parke). Weitere Varianten betreffen etwa die Wortbildung (der Entscheid/die Entscheidung), die Wortstellung (genug dick/dick genug), den Gebrauch der Verben (gegen jemanden klagen/jemanden klagen) oder das grammatische Geschlecht der Substantive: Was die E-Mail angeht, neigt man in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland, aber auch in den meisten Gegenden der Schweiz deutlich dem Sächlichen zu, wogegen die virtuelle Post in Deutschland einheitlich weiblich konnotiert ist.

Treffen wir sich morgen? Was in Niederösterreich und Wien nicht selten zu hören ist, haben wir in der Variantengrammatik leider nicht entdeckt. Wahrscheinlich, weil diese Formulierung ausschließlich gesprochenes und nicht geschriebenes Deutsch ist (das Reflexive kommt aus dem Tschechischen). Aber morgen jedenfalls ein Treffen, das ist ausgemacht, in Österreich wie in den meisten Teilen Deutschlands (Grafik rechts). Die Schweizer tanzen mit ihrem abgemacht ziemlich aus der Reihe.

www.variantengrammatik.net
Bilder: Arbeitsgruppe Variantengrammatik/Kolarik