Einspänner und Lovara

STICH-WORT

11/10/11 Die „Wiener Kaffeehauskultur“ hat geschafft, was den Wiener Bällen schon im Vorjahr gelungen ist: Aufnahme zu finden auf der nationalen Liste des immateriellen Kulturerbes.

Von Reinhard Kriechbaum

Gut, dass der Einspänner, die Melange, der Verlängerte und der Kleine Braune zumindest registriert sind als liebenswerte Besonderheiten. Echten „Schutz“ kann immaterielles Kulturerbe ja nicht bekommen. Wie alle Bräuche und Traditionen geht es ja im Wesentlichen darum, dass die Dinge im täglichen Leben ihren Stellenwert behaupten. Hoffen wir also, dass sich künftig in Wien nicht zu viele Menschen für „Coffee to go“ entscheiden und sich auch die Bestellungen von Latte macchiato in Grenzen halten.

Gyros und Pizza stehen ebenfalls auf der UNESCO-Liste ihrer jeweiligen Herkunftsländer. Sie behaupten sich respektabel in der Fastfood-Tiefebene. Als kulinarische Gebirgler mit böhmischem und türkischem Einschlag sollte uns gerade nicht um das differenzierte Kaffeeangebot, ebensowenig um Bowidldatschgerl und Golatschen in Wien bange sein. Außerdem geht es um die „Kaffeehauskultur“ als Ganzes. Es besteht begründete Hoffnung, dass man auch weiterhin dort seine Zeitungen inhalieren kann wie den Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen. Auch der Schreckensruf „Jessasna, ein Nackerter im Hawelka“ möge ein Ausnahmefall bleiben.

Neu auf der Liste findet sich auch ein rätselhaftes Wort: „Lovara“. Damit erinnert man an die Roma und ihre Musikkultur. „Lovara“ geht auf das ungarische Wort für „Pferdehändler“ zurück – dem traditionellen Beruf der Lovara. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft fielen die Lovara mehrheitlich dem Genozid zum Opfer. Besonders betroffen vom Völkermord war die älteste Generation die für die Tradierung der Kultur und Sprache der Lovara von essentieller Bedeutung gewesen wäre. Die wenigen Überlebenden kehrten nicht mehr in ihre burgenländischen Heimatdörfer zurück sondern versuchten, in Wien neue Existenzen aufzubauen. Ceija Stojka oder Ruzsa Nikoli?-Lakatos haben es als Sängerinnen aus dieser Musik-Richtung zu einiger Bekanntheit gebracht.

Bei  der jüngsten Ergänzung der nationalen Liste des nationalen Kulturerbes hat man einen deutlichen Akzent auf Faschingsbräuche gesetzt. Fasching in Österreich ist ja mehr als Villacher „Lei Lei“. Das Blochziehen in Fiss (im Tiroler Oberland) und das Murauer Faschingsrennen sind sehr charakteristische Faschingsbräuche. Es müssen eben nicht immer Faschingsprinzen und -gilden nach rheinischem Vorbild sein. Schon länger auf der Liste stehen die Lungauer „Vereinigten“ (die sonderbarerweise von einer historisch wichtigen „zunftfreien“ Vereinigung kleiner Handwerker zum Faschingsverein mutiert sind – pardon, dass wir das so salopp sagen). Schemenlaufen (Imst), Schleicherlaufen (Tels), Mullen und Matschgern (in den Umlandgemeinden von Innsbruck) stehen auch schon seit geraumer Zeit auf der Liste: Tirol ist eine Hochburg genuiner Faschingsbräuche.

Die Liste der immateriellen Kulturgüter in Österreich: immaterielleskulturerbe.unesco.at


Bilder: UNESCO / Nationalagentur für das immaterielle Kulturerbe