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99 oder: Die große Stunde der Kleinen

KOMMENTAR

Von Reinhard Kriechbaum

11/03/20 Wer hätte gedacht, dass Leopold Kohr so gut wie über Nacht zum Schutzpatron der freien Kulturszene aufrücken wird? Kleine Einheiten, that's it! Diese Emsigen klagen ja stets zurecht darüber, dass sie im Schatten der Big Player in der Kultur finanziell zu kurz kommen. Jetzt, da so vehement an den Corona-Schrauben gedreht wird, können viele aus der freien Szene ein Loblied auf ihre überschaubare Größe anstimmen. Während das Landestheater vorerst zusperrt, braucht sich ein Kulturunternehmen wie der Toihaus mit – im Regelbetrieb – nicht mehr als fünfzig Plätzen keine großen Gedanken machen. Zumindest vorerst nicht. Das Schauspielhaus hat Glück, dass in den kommenden drei Wochen meist nur das Studio bespielt wird. Auch im Literaturhaus ist positives Denken angesagt: Lesungen sind nur in Ausnahmefällen echte Publikumsmagneten. Die Kinos, so hört man, halten sich an die verordnete 100-Menschen-Grenze. Auch das wird, bei mehreren Sälen, nicht den finanziellen Ruin bedeuten.

Viele in der freien und auch in der gewinnorientierten Kulturszene können also unbeirrt weitermachen, und das ist gut so. Vielleicht fällt ihnen sogar ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu von Menschen, die bei den Größeren (die wirklich Einbußen werden verkraften müssen) in den nächsten drei Wochen vor verschlossenen Türen stehen. Oder werden ganz viele Leute die Aufforderung ernst nehmen, die sozialen Kontakte zu minimieren und freiwillig aufs Ausgehen und auf Veranstaltungsbesuche verichten? Wir glauben ehrlich nicht daran.

Und ein wenig gibt uns die verordnete 100-Menschen-Grenze schon auch zu denken. Wenn es heißt, dass Veranstaltungen in der Rockhouse-Bar stattfinden, eben unter dem Motto „99 minus“, dan malen wir uns das Raumklima aus. Es menschelt schon sehr, wenn sich dort 99 Menschen drängen. Im Vergleich dazu schiene uns das Raumklima viel unverdächtiger, wenn im Landestheater, im Mozarteum oder gar im Großen Festspielhaus Hundertschaften ganz ordentlich in den Sitzreihen nebeneinander aufgefädelt sind. Was den Schutz vor SARS-COV-2 anlangt, ist vielleicht doch der Hausverstand gefragter als ministerielle Order.

 

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