Eine Meinungsrede um die Schülerperformanze

GASTKOMMENTAR

26/03/15 „Schluss mit der Zentralmatura, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird!“ Zu diesem Schluss kommt Christoph Janacs, Lehrer (seit 1983) und Schriftsteller, in einem offenen Schreiben, das er dieser Tage an das Bildungsministerium und das BIFIE versandt hat.

Von Christoph Janacs

Abgesehen von den zahlreichen peinlichen Pannen der letzten Jahre, die Ministerium wie BIFIE in das denkbar schlechteste Licht rückten und hier, weil als bekannt vorausgesetzt, nicht extra aufgelistet werden müssen, zeigen sich bei Konzept und bisheriger Planung bzw. Ausführung der Zentralmatura schwerwiegende Denkfehler, Mängel und Ungereimtheiten, welche einer genaueren Prüfung nicht standhalten können. Die wesentlichsten Punkte sind folgende:

1. Das Konzept der Zentralmatura geht von der falschen Prämisse aus, daß menschliche Denkleistung vergleichbar, klassifizierbar oder gar normierbar sei. Das Gegenteil ist der Fall! Und wenn es möglich wäre, dann nur um den Preis von Vielfalt und Kreativität. Die Themenbeispiele aus dem Fach Deutsch der letzten Jahre geben davon ein beredtes Zeugnis: Anstatt sich mit Werken der europäischen Literatur- und Kulturgeschichte auseinandersetzen und diese in einen größeren Kontext einbinden sowie auf die eigene aktuelle Lebenssituation beziehen zu können, müssen die SchülerInnen in Hinkunft lächerliche neun Textsorten pauken, von denen eine – nämlich die sogenannte „Meinungsrede“ – nicht einmal im Duden zu finden ist (!); und wenn Literatur bislang vorkam, dann waren es entweder fragwürdige Texte oder die Themenstellung war so geartet, daß der zu behandelnde Text seiner entstehungsgeschichtlichen Hintergründe enthoben – quasi im luftleeren Raum – zu interpretieren war. Das hat nichts mit Reife zu tun, sondern nur noch mit der Reproduktion eingetrichterter formaler Kriterien, nach denen die Schülerperformanzen (wie jetzt die Schülerarbeiten heißen – übrigens ein Wort, das man ebenso wenig im Duden findet) ausgerichtet zu sein haben und beurteilt werden müssen.

2. Das Konzept der Zentralmatura mißachtet eine österreichische Besonderheit: In keinem Land Europas gibt es ein derart differenziertes Schulwesen, das auch noch die Unterscheidung in AHS (Allgemeinbildende Höhere Schulen) und BHS (Berufsbildende Höhere Schulen) kennt. Nicht nur die Ausrichtung des jeweiligen Schultyps ist eine sehr spezielle, auch die sich daraus ergebende Fächerauswahl und –kombination sowie das Stundenausmaß der einzelnen Unterrichtsgegenstände. Eine – angeblich objektive – Vergleichbarkeit ist schon aus diesem Grund nicht möglich, außer man meint, Äpfel, Birnen, Kraut und Rüben könne man auf einen gemeinsamen Nenner bringen oder man müsse die Vielfalt opfern zugunsten einer gar nicht herzustellenden Vergleichbarkeit.

3. Das Konzept der Zentralmatura steht im diametralen Gegensatz zur vielgepriesenen und ständig propagierten Autonomie der Schulen (die sogar individuell Lehrpläne entwickeln dürfen) und zur Individualisierung im Lehr- und Lernprozeß. Einerseits trägt man den einzelnen Standorten Rechnung, läßt neue inhaltliche Konzepte entwickeln und fördert das individuelle Lernen, auf der anderen Seite sollen alle SchülerInnen am Ende dasselbe können und zwar streng normiert: so droht bei Über- oder Unterschreitung einer festgesetzten Wortanzahl eine schlechtere Note bzw. sind die den LehrerInnen vorliegenden Beurteilungskriterien so gestaltet, daß zwar ein Nicht genügend, aber auch ein Sehr gut kaum mehr möglich sein wird. Das Mittelmaß wird zum Maß aller Dinge!

4. Das Konzept der Zentralmatura entmündigt die LehrerInnen: Ihnen, die während der Schulzeit sehr wohl Schularbeiten und Tests ausarbeiten und beurteilen dürfen, wird in Sachen Matura unter dem fadenscheinigen Vorwand einer größeren Objektivität (die, wie oben erläutert, gar nicht erreichbar ist) die Fähigkeit abgesprochen, sinnvolle, nachvollziehbare und bewältigbare Aufgabenstellungen zu erarbeiten; und es wird ihnen auch noch die Kompetenz abgesprochen, die Schülerarbeiten zu beurteilen, weshalb man z.B. den DeutschlehrerInnen einen Beurteilungskatalog mit über 50 Kriterien (!) zur verpflichteten Anwendung oktroyiert und diesem, weil LehrerInnen offenbar besonders begriffsstutzig sind, ein 20-seitiges Papier mit Erläuterungen beilegt.

5. Das Konzept der Zentralmatura entmündigt die SchülerInnen: Nicht ihre Kreativität und Fähigkeit, Lösungen und Gedanken eigenständig zu entwickeln, ist gefordert (was, zugegebenermaßen, nicht vergleichbar und nicht objektivierbar ist), sondern ihr Anpassungspotenzial, was aktuell bereits in vielen Schulen dazu führt, daß selbst SchülerInnen des fünften Jahrgangs im peinlich genauen Erfüllen formaler Kriterien im Hinblick auf die Matura trainiert werden. Das Schreckgespenst einer zentral organisierten Matura, bei der Themen- und Aufgabenstellungen nicht mehr absehbar sind, hat gleichermaßen LehrerInnen und SchülerInnen wie die sprichwörtliche Maus vor der Schlange erstarren lassen. Mit Bildung hat das nichts zu tun!

6. Das Konzept der Zentralmatura zerstört den alten Begriff von Bildung (der durchaus nicht sakrosankt ist und zu hinterfragen wäre), ohne einen neuen, besseren (?) zu entwickeln, es sei denn, man sieht es als positive bildungspolitische Neuerung an, daß SchülerInnen nunmehr als „reif“ gelten können, ohne auch nur eine Zeile beispielsweise von Homer, Shakespeare oder Goethe gelesen, eine Symphonie von z.B. Schubert gehört oder ein Gemälde von meinetwegen Picasso gesehen zu haben. Offenbar alles Schrott, den man nicht braucht. In Hinkunft werden unsere Schulen junge Erwachsene verlassen, die sich bestens eignen für Talk-Shows...

Die Quintessenz ist: Diese Zentralmatura ist eine bildungspolitische Katastrophe mit schwerwiegenden Folgen für die persönliche Entwicklung des einzelnen wie der gesamten Gesellschaft! Deshalb kann und muß die Forderung nur lauten: Schluß mit der Zentralmatura, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird!

Der Schriftsteller Christoph Janacs wurde 1955 in Oberösterreich geboren, er lebt in Niederalm/Salzburg. Unter anderem war er 1988 Rauriser Förderungspreisträger, er bekam 1992 den Stefan Zweig-Preis der Stadt Salzburg und 2003 den Salzburger Lyrikpreis – www.janacs.at
Bild: www.janacs.at / Christian Weingartner