Borstenvieh und Schweinespeck

HINTERGRUND / NEUJAHRSSCHWEIN

30/12/22 Das Glück ist heuer preisgünstig zu haben, um schlappe fünf Euro. So der Nennwert der von der Münze Österreich zum Jahreswechsel aufgelegten Kupfermünze: Ein Geldstück mit Schwein drauf und mit vierblättrigem Klee. Da sollte sich das Glück multiplizieren – auch wenn einer im neuen Jahr dann und wann die Sau rauslassen sollte.

Von Reinhard Kriechbaum

Nicht, dass das Schwein von vornherein zum Glücksbringer bestimmt gewesen wäre. In einem sind sich Judentum und der Islam ja bis heute absolut einig: Schwein ist pfui. Zu wenig koscher den einen, zu haram den anderen. Schon in ältester Zeit, in den Mosaischen Gesetzen (Deut 14,3-20) rechnet das Schwein zu den verbotenen Speisen. Ob es damit zu tun hat, dass sich das Schwein im Dreck suhlt? Auch der Hase ist im Alten Testament erstaunlicherweise als Nahrungsmittel verboten, und diesem Tier kann man absolut keine Hygiene-Schweinereien nachsagen. Vielleicht hat es mit der lustvoll ausgelebten Liebe zu tun: Auch Schweine paaren sich lustvoll und vermehren sich wie die Karnickel.

Wie auch immer: Gegen das Schwein hatte man auch im Christentum lange Zeit Vorbehalte, weil man argwöhnte, dass der Teufel gerne seine Gestalt annehme. Auch da steckt eine Bibelstelle dahinter, diesmal eine aus dem Neuen Testament: Als Jesus Dämonen austrieb, fuhren sie in eine Schweineherde, was den armen Tieren gar nicht gut bekam. Sie stürzten sich in den See Genezareth. Davon berichten sowohl Matthäus und Markus als auch Lukas fast gleichlautend. Von zweitausend Tieren ist da die Rede. Das ist eine erstaunliche Herdengröße für ein Tier, das Juden eigentlich nicht essen durften. Ob diesen Schweinen, wären sie nicht ins Wasser gegangen, die römischen Legionäre allein den Garaus gemacht hätten?

Die Griechen und Römer jedenfalls wussten das Schwein in der Antike schon zu schätzen, auch die Germanen konnten dem Gullinborsti, also dem Vieh mit den goldenen Borsten, etwas abgewinnen. Nicht erst Wilhelm Busch also reimte: „Ein kluger Mann verehrt das Schwein; / er denkt an dessen Zweck. / Von außen ist es ja nicht fein, / doch drinnen sitzt der Speck.“ Davon war auch der Banater Schweinezüchter Kálmán Zsupán überzeugt. Er singt in der Operette Der Zigeunerbaron von Johann Strauß Sohn: „Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh und Schweinespeck.“ Im Ersten Weltkrieg nahmen die Zeppelin-Luftschiffer lebende Ferkel als Maskottchen mit an Bord.

Der Ausdruck „Schwein haben“ wird unterschiedlich erklärt. Bei Wettbewerbs-Spielen im ausgehenden Mittelalter war es oft so, dass der Letzte ein Ferkel als Trostpreis überreich bekam. So kam er unverhofft doch noch mit etwas vergleichsweise Wertvollem nach Hause. Die Formulierung „Schwein haben“ könnte aber auch gar nicht von der Tierzucht kommen, sondern vom Kartenspielen: In Süddeutschland und Österreich heißt das As oft „Sau“. Diese Karte sticht alle anderen.

Dass es nicht zu verachten ist, Schwein zu haben – im Sinn von Glück ebenso wie im Wortsinn, als grunzendes Ferkel im Kober – das braucht man nicht eigens zu erklären. „Kaspel“ ist ein steirisches Dialektwort für Küchenabfälle, „g'Haspel“ sagt man im Schwäbischen: Was heute in die Biotonne kommt, wanderte einst in den Schweinestall. Die Tiere sind genügsame Allesfresser, dankbare Resteverwerter. Und sie werfen zwei Mal im Jahr bis zu zehn Ferkel. Davon und damit lässt es sich gut leben. Das Schwein ist übrigens das einzige Haustier, das eigentlich nur gehalten wird, um geschlachtet und gegessen zu werden. Das sprichwörtliche „arme Schwein“ kann jämmerlich quieken.

Das Schlachten eines Schweins war einst ein gesellschaftliches Ereignis für die Bewohner eines Bauernhofs und die Nachbarn. So ein Tier wiegt ja zweihundert Kilo und mehr. War es einmal abgestochen, dann galt es, rasch zu sein: Vom Blut bis zur Schwarte wollten alle Bestandteile zu Würsten oder sonst irgendwie verarbeitet und konserviert sein. Da war Nachbarschaftshilfe von Nöten. Nach getaner gemeinschaftlicher Arbeit kam die Unterhaltung nicht zu kurz. Sautanz hieß der Brauch, der mit den Hausschlachtungen abgekommen ist. Da und dort lassen ihn findige Gastronomen heute wieder aufleben.

Der Heilige des 31. Dezember, der Papst Silvester, hat übrigens einen Stier als Erkennungszeichen und keineswegs ein Neujahrsschwein. Von einem Schwein begleitet finden wir aber den heiligen Antonius. Das war ein Mönch in Ägypten, der in der Spätantike das Mönchstum, genauer gesagt das Eremitentum begründete. Seine Nachfolger bildeten einen Orden, die Antoniter. Sie widmeten sich der Armen- und Krankenfürsorge. Über deren Tätigkeit kam Antonius zum Schwein: Die Antoniter ließen in den den Dörfern ein Schwein laufen, das mit einem Glöckchen gekennzeichnet wurde. Es war Aufgabe der Dorfbewohner, es zu füttern. War das Antoniusschwein fett genug, wurde es geschlachtet und kam als Nahrung den Armen zugute.

Das Schwein hat auch in der Volksmedizin einst eine große Rolle gespielt: Von der Linderung von Kreuzschmerzen bis zur Zeugung männlicher Nachkommenschaft – oft griff man zu „schweinischen“ Essenzen.

Nun also ist das Schwein auf einer Münze gelandet. Glücksbringer auf Glücksbringer also. Münzen spielen bei Bräuchen von der Geburt weg aus naheliegenden Gründen eine Rolle. Die erste Münze – der meist vom Paten geschenkte Tauftaler – soll sorgfältig aufbewahrt werden, da sie dann Glück bringt. Dafür drängen sich die kupfernen fünf Euro geradezu auf. Und sie sind deutlich mehr wert als die slowenische Ein-Cent-Münze, die findige Menschen im Euro-Zeitalter zu dem Anlass gelegentlich verschenken. Auf ihrer Rückseite ist ein Storch abgebildet. Da macht ein Schwein schon mehr her.

Mehr über Glücksbringer, Silvester und Neujahrsbräuche im Buch Borstenvieh und Donauwalzer von DrehPunktKultur-Herausgeber Reinhard Kriechbaum, erschienen im Verlag Pustet
Die Neujahrsmünze 2023 "Schwein gehabt" – www.muenzeoesterreich.at
Bilder: Münze Österreich (1); dpk-krie (4)