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Ein Mahner ist nicht mehr

TODESFALL / MARKO FEINGOLD

20/09/19 Mit Marko Feingold verliert Salzburg den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, einen Organisator des jüdischen Exodus von 1945 bis 1948 und  einen bis zur letzten Stunde unermüdlich tätigen Zeitzeugen: Marko Feingold, der älteste österreichische Überlebende des Holocaust, ist heute Donnerstag (20.9.) 106-jährig an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

Von Heidemarie Klabacher

448Marko Feingold wurde 1913 in Neusohl in  der heutigen Slowakei auf damaligem Monarchie-Gebiet geboren und ist in Wien zur Schule gegangen. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 flüchtete der Handelsangestellte in die Tschechoslowakei. Dort wurde er am 6. Mai 1939 von der Gestapo in Prag verhaftet. Danach überlebte Marko Feingold überlebte vier Konzentrationslager – Auschwitz, Neuengamme bei Hamburg, Dachau und zuletzt Buchenwald, wo ihn am 11. April 1945 Soldaten der US Armee befreiten.

Die Nachkriegszeit führte Feingold nach Salzburg, wo die US-Behörden den geschickten Organisator mit der Betreuung und Verpflegung der in Salzburg gestrandeten jüdischen Flüchtlinge beauftragten. Tausenden Displaced Persons ermöglichte Marko Feingold, im Rahmen der jüdischen Flüchtlingshilfsorganisation Bricha, die Weiterreise nach Palästina. Auch jene fünftausend Juden, die 1947 über den Krimmler Tauern zu Fuß nach Italien gelangten, verdanken Marko Feingold diese Fluchtmöglichkeit, nachdem der Brenner für jüdische Flüchtlinge gesperrt worden war.

Marko Feingold blieb in Salzburg und führte bis 1977 ein Modegeschäft. Von 1946 bis 1947 sowie seit 1978 war Marko Feingold Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg. Sein Einsatz galt bis zuletzt dem Kampf gegen das Vergessen und dem Ringen um die Würdigung des Schicksals der Überlebenden der Nazi-Gräuel. Flüchtlinge aller Religionen und Konfessionen galten seine Empathie und sein Engagement. Marko Feingolds Verdienste um den Dialog der Religionen sowie um die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Salzburg kann nicht hoch genug gewürdigt werden.

Marko Feingold war Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, Ehrenpräsident aller Kultusgemeinden Österreichs, Mitarbeiter in der Europäischen Akademie für Wissenschaft und Künste und Präsident des Vereins Jüdisches Kulturzentrum Salzburg. Zu den zahlreichen Ehrungen und Würdigungen Marko Feingolds gehören das 1977 verliehene Ehrenzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs, das 1985 verliehene Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik oder aus jüngerer Zeit der 2003 verliehene Ring der Stadt Salzburg. Seit 2008 war Marko Feingold Ehrenbürger der Stadt Salzburg.

Das Ableben des großen unermüdlichen Mahners gegen das Vergessen und Rufers nach Mitmenschlichkeit und Toleranz heute Donnerstag (20.9.) kann ein Grund sein, Marko Feingolds 2012 im Otto Müller Verlag erschienene Biographie wieder einmal zur Hand zu nehmen: Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte.

Mit kurzen farbigen Porträts der wichtigsten Familienangehörigen eröffnete Marko Feingold seine Biographie: Der Großvater wurde noch nach jüdischem Ritus beerdigt. Bei der nächsten Generation heißt es dann schon in Varianten des Grauens „… sind dann vermutlich im Warschauer Getto umgekommen“. Nicht nur tragische, auch durchaus schräge Familiengeschichten sind dabei - wie etwa die bizarre Schnurre mit dem auf einem Ausflug urplötzlich verstorbenen Onkel, dessen Leichnam der junge Feingold dann auf dem Liegesitz seines ersten modernen Autos heimchauffiert hat. Dass auch dieser Onkel und seine Frau Clara (Feingolds Tante väterlicherseits) eine Odyssee von der Wiener Mohrengasse über Kuba, New York nach Long Beach hinter sich hatten – das beschrieb Marco Feingold wortökonomisch in drei kurzen Sätzen.

Oder die Mär vom Tod (anscheinend ein Leitmotiv) des Großvaters mütterlicherseits: „Angeblich ist er vergiftet worden, denn da ab es so eine Geschichte: Eine Katze hätte das aufgeschleckt, was er erbrochen hatte, und sei auch verendet. Eine makabre Geschichte, aber so erzählte man sich.“

Nicht fehlen freilich auch heitere Geschichten – gerne mit Knoblauch gewürtz – aus dem rituell geführten Haushalt der Mutter! Was man quasi nebenbei über koschere Haushaltsführung erfährt, ersetzt vielleicht nicht, aber ergänzt so manche Sozialgeschichte.

Salzburg, Österreich und die Welt verlieren mit Marko Feingold nicht nur den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde und einen der letzten Zeugen des Nazi-Terrors. Die jüdische und die nicht-jüdiesche Welt verlieren einen Menschen.

Bild: Otto Müller Verlag

 

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