Der Jedermann fast wie eine zweite Haut

IM PORTRÄT / TOBIAS MORETTI

27/08/20 Mit seinem Kollegen Peter Simonischek hat er zwar bei weitem nicht gleichgezogen, aber auf 94 Auftritte im Jedermann hat es Tobias Moretti gebracht: 51 Mal seit 2017 gestaltete er die Titelrolle, lange zuvor, zwischen 2002 und 2005, war er 43 Mal in der Doppelrolle als Guter Gesell und Teufel zu sehen.

Von Reinhard Kriechbaum

Mit Entzugserscheinungen ist möglicherweise zu rechnen im nächsten Sommer, wenn Tobias Moretti nicht mehr dabei ist, weder als reuiger Sünder noch überhaupt. Der Abgang wurde ihm versüßt: Am Mittwoch Abend (26.8.) wurde der Schauspieler nach seiner letzten Vorstellung als Jedermann mit der Festspielnadel mit Rubin ausgezeichnet.

„Eindeutig, dass Jedermann die Rolle für Tobias Moretti ist“, schrieben wir in der DrehPunktKultur-Besprechung nach der Premiere 2017. „Depression, Verzweiflung, Selbstzweifel, wenn's ernst wird: Das spielt er glaubwürdig und stark. Depressiv zum Katholischwerden – das ist der Eindruck der Aufführung überhaupt.“

„Mit Tobias Moretti hatten wir das Glück einen Jedermann zu erleben, der sich bis in die letzte Faser seiner Rolle verschrieben hat“, sagt Bettina Hering, Schauspiel-Chefin der Festspiele. „Das 'Spiel vom Sterben des reichen Mannes' hat uns in seiner Interpretation gezeigt, wie erschütternd das Wissen um den letzten Weg für jeden Einzelnen war und bis heute ist.“ Morettis Identifikation mit dem Stück und der Rolle ging so weit, dass er aus Hofmannsthals Text und jener Version, die in in der Inszenierung von Michael Sturminger verwendet wird, sogar seine eigene Jedermann-Fassung vorgelegt hat (im Haymon Verlag).

Aber das Kapitel Moretti und Festspiele ist länger als zusammengerechnet acht Jedermann-Jahre. Seit seinem Debüt 2001 in Kein Tirolerabend (einem Rezitationsabend mit Vienna Brass) war Tobias Moretti insgesamt 123 Mal bei den Salzburger Festspielen zu sehen.

„Tobias Moretti erfüllt jede Rolle mit der ihm eigenen Urkraft. Wir sind glücklich, dass er seit 2001 ein Festspieler ist. Ob König Ottokar oder Jedermann, die Intensität seiner Darstellung lässt niemanden kalt“, so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler. Die Titelrolle in Grillparzers Drama hat Moretti 2005 in der Inszenierung von Martin Kušej gespielt.

Die Festspielnadel mit Rubin wurde heuer schon einmal vergeben, an den Dirigenten Franz Welser-Möst.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (1); Matthias Horn (1)
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