Als Maurizio Pollini sich nach diesem im Saal mit erheblichem Murren zur (Un)Kenntnis genommenen Programmpunkt ans Klavier setzte und auch noch Stockhausens Klavierstück X spielte, da hat's einem seiner Jünger, der vom Meister bis dahin wohl noch nichts anderes als Chopin-Prèludes auf den Plattenteller gelegt hatte, endgültig gereicht. Der Herr ging ganz nach vorne, pflanzte sich vor dem Klavier auf und schleuderte Pollini ein zorniges „Buh“ ins Gesicht. Der Meister zuckte kurz zusammen, der Empörte rauschte ab.
Erinnert sich jemand, dass Pollini sonst einmal derart unfreundlich behandelt worden wäre vom Salzburger Festspielpublikum und jenem sonst irgendwo auf der Welt? Nein. Zu Pollini kommt man, um ihn zu feiern. Heute Mittwoch (5.1.) feiert Pollini seinen achtzigsten Geburtstag.
1973, als Maurizio Pollini bei den Festspielen debütierte, war eigentlich klar: Chopin musste es sein, im konkreten Fall dessen zweites Klavierkonzert – mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado. Im Jahr zuvor war seine Einspielung der Chopin-Etudes erschienen, die gleich mal als Referenz-Aufnahme eingestuft wurde. Auch wenn manchen manch liebgewordene interpretatorische Unart aus der Kollegenschaft schon abging. Pollini hatte sich sehr klar für eine strukturbetonte Lesart entschieden. Nichts da mit Rubati, mit ohrenschmeichelnden Tempo-Verschleifungen.
Den klaren Blick auf Strukturen hat Pollini wohl schon als Kind daheim mitbekommen, als Sohn eines Mailänder Architekten. Es verwundert also keineswegs, dass er sich bald auch als ein Muster-Interpret für die Klaviermusik des 20. Jahrhunderts einführte, für die Zweite Wiener Schule etwa. Anlässlich des 100. Geburtstags von Arnold Schönberg führte er dessen Gesamtwerk für Klavier in mehreren Städten auf. Auch Berio und Nono hat man immer wieder gerne von Pollini gehört, und natürlich auch Werke des ihm durchaus wesensverwandten Pierre Boulez.
Pollini hat in Salzburg zwei Progetto-Zyklen gestaltet, 1995 und 1999, in denen man sich ein Bild machen konnte vom weiten Horizont dieses Interpreten. Hat es eigentlich seit Pollinis Salzburger Festspiel-Debüt 1973 überhaupt ein Jahr gegeben, in dem er nicht zugegen war? Da muss man schon drei Dezennien und weiter zurückblättern. Einzig 1975, 1983 und 1990 waren karge, weil Pollini-lose Sommer. Ein Beethoven-Programm hat der Achtzigjährige heuer vor, unter anderem mit der Hammerklaviersonate. Ach ja: Auch als Beethoven-Interpret hat sich Pollini sich in die Interpretationsgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben, daran darf man gerade heute erinnern, weil auf diesen Tag auch Alfred Brendels Geburtstag fällt. Es ist der 91. Und es muss auch im 21. Jahrhundert nicht immer Igor Levit sein.