Die Zeit ändert viel

IM PORTRÄT / FRIEDRICH CERHA

04/08/10 „Es tut mir leid, dass es über mich in der Jury keine Diskussion gegeben hat. Sie hätte mich interessiert ... Aber eigentlich kommt das alles zu spät. Zu einem Zeitpunkt, wo man das alles nicht mehr braucht.“ Der 84jährige Komponist Friedrich Cerha ist Träger des „Salzburger Musikpreises 2011“: Charmant und sperrig.

Von Heidemarie Klabacher

Über den Nutzen und die Funktion von Preisen ist noch zu wenig philosophiert worden. Es wäre nützlich, Untersuchungen anzustellen.“ Er verstehe, wenn man etablierte Komponisten auszeichne, es bestehe ja doch ein gewisses Wagnis auf Seiten der Vergeber: „Man kann sich ja auch mit Preisvergaben blamieren.“ Auch interessiere ihn „die Psychologie der Vergebenden“, gebe es doch durchaus den Fall, „dass sich die Auszeichnenden im Licht des Ausgezeichneten sonnen.“

Über den Musikpreis Salzburg jedenfalls freut sich Cerha. Denn besonders Salzburg, wo viele seiner Werke aufgeführt wurden, fühlt sich der 1926 in Wien geborene Cerha verbunden: „Ich freue mich über den Preis, aber er macht mich auch nachdenklich.“

Vor 55 Jahren war er „ein junger Mensch, neugierig auf die Welt“. Mit seinem kompositorischen Werk sei er auf „einige Ablehnung“, ja Feindschaft, gestoßen. Ihm sei unterstellt worden, geheiligte Tradition zerstören zu wollen. Und heute, mehr ein halbes Jahrhundert später, bekomme er Preise, Ehrungen und Auszeichnungen: „Eigentlich kommt das alles zu spät. Zu einem Zeitpunkt, wo man das alles nicht mehr braucht.“ Dennoch habe er sich über alle Abbrüche der Zeit hinweg „einen Rest von Eitelkeit bewahrt“, der ihm über einen solchen Preis „Genugtuung verschafft“.

Bereits 1970 standen bei den Festspielen Cerhas „Spiegel I & VI“, 1974 sein „Catalogue des objects trouvés“ oder 1979 sein Konzert für Violine, Violoncello und Orchester auf dem Programm. 1981 dann die Uraufführung der Oper „Baal“ auf die Textvarianten von Bertolt Brecht. „1996 hat Hans Landesmann einen Schwerpunkt mit meinen Werken bei zehn Konzerten programmiert“, erinnert der Komponist. „Ich fühle mich künstlerisch in Salzburg zu Hause.“ Auch die Stiftung Mozarteum altoder die Musiktage Mondssee haben Werke bei Cerha in Auftrag gegeben. Eines der jüngsten „Cerha-Erlebnisse“ in Salzburg war 2009 die Uraufführung seines Konzerts für Schlagzeug und Orchester durch Martin Grubinger und das Mozarteumorchester unter der Leitung von Ivor Bolton. Ein fulminanter Cerha.

Tatsächlich kann Salzburg auch dieser Tage einen Cerha vom Edelsten erleben: Welchen anderen lebenden Komponisten hätte man auch nur in Gedanken in Erwägung ziehen können, als es galt, Alban Bergs Oper „Lulu“ um einen dritten Akt zu ergänzen.

Für die Zeitgenössische Musik habe sich seit seinen jungen Jahren sehr vieles zum Besseren gewandelt, stellt Friedrich Cerha fest. Es gebe aber auch empfindliche Rückschläge. Ein solcher sei die Einstellung der angesehenen „Österreichischen Musikzeitschrift“ (ÖMZ), einer der wesentlichen Stimmen der Neuen Musik in Österreich: "Weil sie keine Subvention mehr bekommnt."

Eine Beobachtung hat der heute 84jährige beim Studium alter Konzertprogramme aus den 50er- und 60er-Jahren gemacht: „Es ist erstaunlich, wie viele damals hochgeschätzte Komponisten bereits vergessen sind.“ Er plädiere dafür, neben der Tradition und dem Neuesten „auch das Dazwischenliegende“ nicht zu vergessen.

Mit diesem Anspruch hat sich übrigens Heike Hoffmann, die künstlerische Leiterin der Salzburg Biennale, von ihrer ersten Pressekonferenz an der Öffentlichkeit gestellt: Sie möchte dezidiert kein „Uraufführungs-Festival“, sondern zeitgenössisches Repertoire pflegen.

Bilder: dpk-klaba
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Zum Porträt der Förderpreisträgerin Elena Mendoz {ln:Die eigene Handschrift im Musiktheater}