Architektur als Ausdruck von Menschlichkeit

TODESFALL / MARGHERITA SPILUTTINI

05/03/23 Als Salzburger Künstlerin kann man sie natürlich nicht reklamieren, obwohl sie 1947 in Schwarzach geboren wurde. Als sie sich Ende der 1970er Jahre der Fotografie und bald speziell der Architekturfotografie zuwandte, lebte sie längst in Wien.

Von Reinhard Kriechbaum

Über viertausend Bauten in rund 120.000 Fotografien – diese beeindruckende Menge an zeitgenössischer Architektur dokumentierte Margherita Spiluttini in dem Vierteljahrhundert von 1980 bis 2014. Ab damals hinderte sie eine Erkrankung an multipler Sklerose am Fotografieren. Warum Margherita Spiluttini sich gerade diesem Zweig der Dokumentarfotografie zugewandt hatte: „Architektur erzählt uns etwas über die sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Verhältnisse einer Gesellschaft. Sie kann sowohl Macht als auch Chaos repräsentieren; sie kann das Ergebnis einer sorgfältigen Planung sein oder zufällig und anonym entstanden sein. In jedem Fall ist sie Ausdruck von Menschlichkeit.“

In einem Nachruf des Architekturzentrums Wien, das ihren Vorlass archiviert und verwaltet, heißt es, sie sei mit ihrer Arbeit „zur Chronistin und Kanonmacherin österreichischer und internationaler Architektur“ avancierte. Es ging ihr nicht nur um Bauten einzelner prominenter Architekten. Sie widmete Bildessays unter anderem Industriebauten, Stadtbildern, Landschaften, urbanen Vernetzungen und anonymer Architektur, sowie historischen Bauten und Kunst im öffentlichen Raum.

„Wiederholt leitete ihr Blick nachhaltige Wandlungsprozesse in der Rezeption ein, so etwa ihre Serie über die Nachkriegsarchitektur“, heißt es im Nachruf des Architekturzentrums Wien. Ihre besondere Leistung sei es gewesen, dass sie mit ihren Bildern „das Gebaute nicht werbewirksam isolierte, sondern bevorzugt im Kontext einer vom Alltag geprägten Umgebung zeigte“.

Margherita Spiluttini hat Salzburger Wurzeln, sie wurde 1947 in Schwarzach im Pongau als Tochter eines Baumeisters geboren – das Bauunternehmen existiert nach wie vor. Nach der Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin arbeitete die am AKH Wien in der Nuklearmedizin. Ende der 1970er Jahre begann sie sich als Autodidaktin mit künstlerischer Fotografie zu beschäftigen.

Im Pongau mag wohl auch ihr Sensorium für die Ambivalenz aus Natur und Architektur geschärft worden sein. Solchen Themen widmete sie sich fast zehn Jahre lang in großformatigen Fotografien, etwa in der Ausstellung 2002 „Nach der Landschaft. Konstruktionen der Landschaft“.

Am Anfang stand nicht die Architekturfotografie. Gesellschaftliches Engagement traf sich mit genauer Beobachtungsgabe: An einem Internationalen Frauentag hat sie kurdische Frauen abgelichtet, die mit einem Transparent auf sich aufmerksam machten – ihre Männer sind ihnen unmittelbar auf den Fersen. Spiluttini war mit der Kamera zugegen und hielt in einer Fotoserie den Abriss des Kulturzentrums Gassergasse in Wien fest. Dieses erste autonome Jugendzentrum Wiens war 1981/82 erkämpft worden – und ein Jahr später war's schon wieder drum geschehen. So nah am Weltfrauentag sei auch an die Serie Mittwoch 3. September 1980, 12 Uhr 45 bis 13 Uhr 57 erinnert.

Das Fotoarchiv Margharita Spiluttini im Architekturzentrum Wien – spiluttini.azw.at
Bilder: Christine König Galerie (1); Galerie Fotohof (2)