Ein Yuppie redet ganz anders

IM PORTRÄT / CHRISTIAN THIELEMANN

08/06/11 Schon eine extreme Zeit: Einer wie Christian Thielemann, der unverhohlen mit der deutschen Musik des 19. Jahrhunderts sympathisiert und sich als Interpret ganz offen als Wertkonservativer offeriert, muss sich im Zeitalter der Original-Töner beinah schief anschauen lassen.

Von Reinhard Kriechbaum

altDie Originalklangbewegung hat er einmal als Modeströmung abgetan. Mit so etwas macht man sich keine Freunde. Unter den Stilpuristen nicht, und auch nicht unter denen, die mit der Mode gehen. Aber wahrscheinlich ist gerade das der Schlüssel zum Erfolg Thielemanns. Denn in der "bürgerlichen" Konzertabonnement-Realität (ja, so etwas gibt es tatsächlich noch, wenn auch mit sinkenden Abonnentenzahlen) ist der authentische Klang, sind die originalen Instrumente auch nach Jahrzehnten noch gar nicht wirklich angekommen - so populär die Beschäftigung mit Barock- und noch älterer Musik auch gerade ist.

Für die Salzburger Osterfestspiele, deren Publikum in seinen Hörgewohnheiten nicht gerade zu den Vorpreschern gehört, kommt einer wie Thielemann wahrscheinlich ganz recht. Er war mal Assistent Karajans, das macht sich gut in der Biographie eines Osterfestspiel-Leiters. Den Handkuss für Frau Eliette hat der vor den Fotografen heute Mittwoch (8.6.) in der Salzburg Kulisse perfekt hingekriegt. Aber über Karajans Hang zur Selbstinszenierung äußerte er sich unlängst in einem "Zeit"-Interview durchaus kritisch:  Bei Karajan habe er gelernt, "dass das nicht mein Ding ist. Ich finde, dass die Bewegung zum Ausdruck bringen muss, was ich mir musikalisch vorstelle, auch wenn sie vielleicht nicht so elegant ist. Bei Karajan war das anders. Er wollte noch als Gesamtkunstwerk agieren."

altÜberhaupt ist dieses Gespräch in der "Zeit" ein Kompendium für Thielemanns ausgeprägten Non-Konformismus: "Als Jugendlicher habe ich mal eine Schallplatte bekommen, die Neunte von Schubert mit Furtwängler. Da wusste ich sofort: Das ist es, dieser dunkle Klang, diese flexiblen Tempi! Ich hatte das Gefühl, es zerrt an mir. Ähnlich ging es mir später mit Beethovens Neunter, einer Liveaufnahme von 1942. Ich dachte: Ja, so muss man Musik machen!"

Dabei solle man "danach streben, dass man das Beste erreicht", sagte Thielemann beim Pressegespräch. "Über unnötiges Reisen über unnötig viel arbeiten kann das behindert werden", sagte  "Es ist wunderbar, dass wir drei Wochen an einem Ort arbeiten können." Bei Festivals wie den Osterfestspielen oder den Bayreuther Festspielen gehe es ihm nicht nur darum, "das Publikum zu erreichen", so Thielemann. "Zu einem solchen Festival gehört auch, dass die Mitwirkenden auf Tüchfühlung gehen, für einige Zeit quasi unter sich bleiben. Das ist ein Garant für gutes Gelingen".

Der am 1. April 1959 in ein wohlbestalltes Berliner Bürgerhaus Hineingeborene ist früh ans Klavier gesetzt worden. Er hat dann auch Bratsche gelernt - die dunklen Töne haben es ihm immer noch angetan. "Deutscher Klang ist dunkel mit Leichtigkeit", verriet er der "Zeit", und diese dunkle Leichtigkeit habe er gefunden "seitdem ich mit dem 'Rosenkavalier' meinen Frieden machte, den ich immer viel zu langsam und viel zu bedeutungsschwanger dirigiert habe. Überhaupt, seit ich mich mehr mit Strauss beschäftige und identifiziere. Ich finde das so lustig, dass er den Ausflug ins Milieu macht, aber dann schön wieder nach Hause geht nach Garmisch, in seine Villa mit den Bierkrügen und der gestärkten Wäsche. Da finde ich mich selbst wieder. Das bin ich."

altNein, Thielemann ist wirklich kein Yuppie. "Ich bin ein liberaler Konservativer. Ich will eine bestimmte Art zu musizieren bewahren, die andere über Bord geworfen haben. Es ist diese freie und freizügige Musizierhaltung von Hans Knappertsbusch, Wilhelm Furtwängler oder Bruno Walter. Denen wird ja vorgeworfen, sie hätten alles romantisch überzuckert. Das sehe ich gar nicht so. Die trugen vielleicht noch einen Spitzkragen, hatten aber eine viel freiere und lockerere Art zu musizieren. Dagegen haben heute in der angeblich freiesten Zeit manche Leute einen musikalischen Spitzkragen und ballern uns mit Ideologien voll."

Da also schon lieber die eigene gestärkte Wäsche. Die ist bisher in Düsseldorf gewaschen worden (dort war er Erster Kapellmeister an der Rheinoper), dann in Nürnberg (1988 war er der damals jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands). Danach wieder in Berlin (an der Deutschen Oper), wo er schon im holden Alter von neunzehn korrepetiert hatte. Seit September 2004 ist Thielemann Chef der Münchner Philharmoniker, der Vertrag läuft heuer aus. Ab dem nächsten Jahr ist er Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden, mit der er jetzt also zu den Osterfestspielen kommt.

Das "Zeit"-Interview mit Christian Thielemann online: www.zeit.de
Bilder: dpk-klaba
Zur Meldung über die Neuausrichtung der Osterfestspiele Das Festival unter die Leute bringen
Zur Glosse Na geht ja!
Zur Dokumentation Seit 1923 auch bei den Festspielen