TODESFALL / ALFRED BRENDEL
18/06/25 In dem Maß, in dem sein Horizont sich ausweitete, wurde sein Repertoire enger. Das war keineswegs ein Widerspruch, sondern das eine bedingte zwingend das andere. Alfred Brendel richtete im Alter alle Konzentration auf Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert – und hatte doch einen wachen Blick weit darüber hinaus. Der Pianist ist am Montag (17.6.) im Alter von 94 Jahren in London verstorben.
Von Reinhard Kriechbaum
Von wie wenigen Musikern kann man als Hörer sagen, dass man aus jedem, wirklich aus jedem ihrer Konzerte erfrischt und mit neuen Werkerkenntnissen hinausgegangen ist. Für Alfred Brendel gilt das ganz besonders. Man erinnert sich eigentlich nur an Sternstunden.
Gerade in der Pianistenszene, die durchaus anfällig ist für Selbstdarstellungen von Exzentrikern, bildete Alfred Brendel einen Gegenpol. Da war nichts Eitles, nichts Selbstverliebtes, nichts Extravagantes. Der britische „Guardian“ schrieb einmal, Brendel sei nie jemand für „Feuerwerk und theatralisches Getue“ gewesen. Er wolle, wie er es einmal formulierte, dem Komponisten nicht „zu verstehen geben, was er eigentlich hätte komponieren sollen“.
Ein hoher Grad an Sachlichkeit also, aber nicht die Spur von Kühle. „Intellekt und Empfindsamkeit waren für Alfred Brendel kein Gegensatz, sie waren der Aggregatszustand für ein Leben, das eine einzige Liebeserklärung an die Musik war“, so Markus Hinterhäuser über Brendel, mit dem er auch freundschaftlich verbunden war. Brendels Interpretationen waren immer auch durchzogen von Humor, ja oft Mutterwitz. Kein Wunder, dass er gerade den Haydn-Sonaten zu verstärkter Resonanz verhalf. „Man merkt Alfred Brendel das 'Nachdenken über Musik' stets an, ohne dass dabei das Mitfühlen der emotionalen Ebenen zu kurz käme.“ Das schrieb Gottfried Franz Kasparek im DrehPunktKultur über ein Konzert der Osterfestspiele 2007. Der damals 77jährige Brendel spielte damals Beethovens Viertes Klavierkonzert.
Im Sommer darauf der „Showdown“ bei den Festspielen: Sein letzter Klavierabend hier – natürlich mit den vier oben erwähnten „Hausgöttern“, und dann noch zwei Konzerte mit den Wiener Philharmonikern unter Franz Welser-Möst, mit Beethovens Klavierkonzert Nummer drei. Kurz darauf zog Brendel sich vom Podium zurück. Nicht als Gezeichneter wie später sein Kollege Mauricio Pollini, sondern in einem Stadium höchster Reife. Wie es eben einem Intellektuellen seines Zuschnitts entsprach. Als Vortragender – „Schule des Hörens“ – war Brendel dann noch eine Zeit lang bei den Festspielen aktiv.
2001, zu seinem 70. Geburtstag, hat man ihm im sommerlichen Salzburg, wo Alfred Brendel zu diesem Zeitpunkt bereits über vier Jahrzehnte lang regelmäßiger Gast war, ein vielteiliges Fest bereitet. Unter anderem spielte er da alle Beethoven-Konzerte, mit Sir Simon Rattle am Pult. In diesem sommerlichen Brendel-Fest trat er auch als Rezitator auf. Viele seiner ironischen, gelegentlich kafkaesken literarischen Texte sind ja legendär. Da ist das Kamel, das seine Höcker einbüßt und fortan als Gaul in der Walküre ein eher unbefriedigendes Dasein fristet. Oder der Affe, ein verlässlicher Hausdiener, „den nachzuäffen uns die Mutter empfahl“. Der Satiriker Brendel ließ Christo die „Drei Tenöre“ verpacken, und er offenbarte uns die politisch höchst unkorrekte Neuigkeit: „Beethoven war ein Neger“. Dazu steuerte Pierre Laurent Aimard Werke von Ligeti und Kurtág bei.
Debütiert hat Alfred Brendel bei den Festspielen 1960, mit einem Klavierkonzert von Ernst Krenek, begleitet von den Wiener Philharmonikern unter Heinz Wallberg. Ab 1977 gab er beinah jeden Sommer einen Klavierabend. Man erlebte ihn als Klavierbegleiter von Hermann Prey, Dietrich Fischer-Dieskau und zuletzt mit dem jungen Matthias Goerne. Siebzig Mal ist Brendel bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. 28 Mal als Solist, 22 Mal bei Orchesterkonzerten, acht Mal bei Mozart Matineen und eben so oft als Liedbegleiter.
Mit Salzburg gab es viele Berührungspunkte auch außerhalb der Festspielzeit. Brendel ist mit der Camerata aufgetreten und bei der Stiftung Mozarteum war er 1962 erstmals mit einem Klavierabend im Großen Saal zu erleben. Ab der Mozartwoche 1969 war er regelmäßig zu Gast, auch nachdem er sich vom Podium zurückgezogen hatte. 2016 musste ein Vortragstermin wegen der starken Nachfrage vom Tanzmeistersaal in die Große Aula verlegt werden. Brendel hat auch die Goldene Mozart-Medaille und damit die höchste Auszeichnung der Stiftung entgegengenommen. An der Universität Mozarteum war er bis zuletzt ein gefragter Vortragender.
2009 wirkte er sogar beim Literaturfest Salzburg mit, las da aus seinem Gedichtband Spiegelbild und schwarzer Spuk, und dazu gab's Musik von Maurizio Kagel und György Kurtág. Die zeitgenössische Musik hatte Brendel immer auch im Auge. Schönbergs Klavierkonzert ebnete er den Weg auf die Podien. Beethovens Klaviersonaten hat er als erster komplett (und dann ein weiteres Mal) aufgenommen, und er war auch der erste, der Beethovens gesamtes Klavierwerk eingespielt hat.
Alfred Brendels Bibliographie ist kaum weniger umfangreich als seine Diskographie. Seine Essays sind bei Piper erschienen, seine schrullig-ironischen Gedichte im Hanser Verlag. Auch die Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen oder der Neuen Zürcher Zeitung haben sich immer wieder einmal mit Brendel-Gedichten selber ein Geschenk gemacht. 2005 sind seine gesammelten Essays und Reden unter dem Titel „Über Musik“ herausgekommen, 2008 der Band „Weltgericht mit Pausen – aus den Tagebüchern von Friedrich Hebbel“.
Bild: Wikimedia / Jiyang Chen
Siebzig Mal ist Brendel bei den Salzburger Festspielen aufgetreten. 28 Mal als Solist, 22 Mal bei Orchesterkonzerten, acht Mal bei Mozart Matineen und eben so oft als Liedbegleiter.