Die halbstündige Dokumentation im Vorjahr beim Artdochfest Riga uraufgeführt und nun bei der Diagonale in Graz präsentiert, führt in die Stadt Mariupol am Asowschen Meer. Eine explosive Gegend nach der russischen Besetzung der Krim. Was für Perspektiven haben da Jugendliche wie Anja und Serjoscha, 18 und 19 Jahre alt? Die wirtschaftliche Armseligkeit, die Wohnblöcke als Spiegel des so nahe der Kriegsfront nun eigentlich noch verschärften realsozialistischen Surrealismus: Da könnte man schon in Depression verfallen. Die beiden jungen Leute lassen sich nicht unterkriegen: Vor dem Theater der Kleinstadt liefern sie eine gesellschaftskritisch gemeinte Verkleidungsperformance. So, wie sie ihr Leben beschreiben, liegen Optimismus und Lebensangst ganz eng beieinander. Das Wort „Robot“ ist allgegenwärtig. Arbeit! Die Jobsuche ist derweil das größte Problem. Die Filmemacherin über die Lage der von ihr porträtierten jungen Menschen, die sie zuletzt in ausgelassener Stimmung, beim Besuch eines Rockkonzerts zeigt eine „Zustandsbeschreibung eines möglichen Aufbruchs“.
Ein geographischer Sprung: Das polnische Bialystok hat es dem 1985 in Salzburg geborenen Johannes Gierlinger angetan. Ein eigentlich trister Ort, arm an Sensationen, neuerdings reich an aufkeimendem Nationalismus und an Fremdenfeindlichkeit? Es war nicht immer so, einst lebten dort verschiedene Völkerschaften, natürlich auch Juden, neben- und miteinander. Am Beginn der sozialistischen Ära war Bialystok eine Hochburg aufmüpfiger Arbeiterschaft. In der Stadt wurde Ludvik Lejzer Zamenhof geboren, der Begründer des Esperanto. „Gibt es eine andere Sprache, die das Wort Hoffnung im Namen trägt“, heißt es in der Doku Remapping the origins. Jedenfalls hätte Herr Zamenhof sich nicht träumen lassen, dass Männer in Schärpen, Burschenschafterkappen und mit Fahnen in öffentlichen Aufmärschen das Polentum hoch- und alles Fremde möglichst abzuhalten trachten. Johannes Gierlinger ist aber nicht frontal auf politische Statements aus. Im Zentrum dieser Dokumentation steht ein gesprochener Essay des jungen Filmers, in dem das Selektive einer jeden historischen Wahrnehmung zum Thema gemacht wird. Geschichtliche Betrachtung ist immer auch Ein- und Wegblendung bestimmter Perspektiven.
Wir reden hier von den Salzburger Beiträgen bei der diesjährigen Diagonale, dem Festival des österreichischen Films in Graz. Sie sind eher bescheiden ausgefallen, kein Spielfilm ist dabei, einige Dokumentationen. Quasi Dauergast bei der Diagonale ist Virgil Widrich. tx-reverse heißt der am Mittwoch (20.3.) uraufgeführte fünfminütige Experimentalfilm, den Virgil Widrich gemeinsam mit Martin Reinhart entwickelt und umgesetzt hat. Das Bild ist bei Widrich nie das, was es auf den ersten Blick scheint. Hier: Das Kinopublikum kommt in den Filmsaal, besetzt nach und nach die Plätze. Plötzlich kommt vermeintliche Unordung auf, Gesichter verändern sich wie in Zerrspiegeln, wie in einer Zeitmaschoine kommen Parameter durcheinander, nehmend rasend Fahrt auf. Glücklicherweise beruhigt sich die virtuelle Maschinerie wieder, zuletzt: Ordnung im vollbesetzten Kino, die Vorstellung könnte beginnen...
Weitere Beiträge von in Salzburg geborenen Filmemacherinnen und -machern: Im Bereich Innovatives Kino läuft Brief an eine Tochter von Wilbirg Brainin-Donnenberg. Nicht wenig Witz versprüht Bernhard Wengers Kurzspielfilm Guy proposes to his Girlfriend on a Mountain, ein mehr als origineller Hochzeitsantrag in heimischer Schipisten-Kulisse.
Mit einem gewichtigen Beitrag im Wettbewerb der abendfüllenden Dokumentarfilme ist Othmar Schmiederer zugange. Die Tage wie das Jahr liefert – an der Oberfläche – idyllische Bilder von einem biologisch geführten Bauernhof im Waldviertel. Schaf- und Ziegenzucht. Bienen nebenbei auch. So gut wie kein Text, nur Bilder. Imponierend dieses anderthabstündige Mitverfolgen von Arbeitstagen durchs Jahr, das nicht selten an Sisyphos denken lässt: Ein landwirtschaftlicher Betrieb wie dieser lebt von eiserner Arbeitsdisziplin, von durchdachten Arbeitsabläufen und Verrichtungen. „Fertig“ ist man da nie und mit nichts. Eine schöne Formulierung im Programmalmanach: „Raum und Zeit werden in ständiger Geschäftigkeit bewohnt, ohne je aus dem Gleichgewicht zu geraten.“