Gemma – Schub – Druck – und Stop

HINTERGRUND / DOKUMENTARFILM

20/02/23 Mit seiner Doku Stams – Österreichs Kaderschmiede hat es der Salzburger Filmemacher Bernhard Braunstein zur Berlinale gebracht. Dort wurde der Streifen am Sonntag (19.2.) uraufgeführt. Wie gehen die Jugendlichen dort mit dem Leistungs- und Erfolgsdruck und den damit einhergehenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen um? Und was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Von Reinhard Kriechbaum

Aus dem ORF-Morgenjournal heute (20.2.) zum Abschluss der Ski-WM in Frankreich: Die Süffisanz war unüberhörbar, als es hieß, Österreich sei im Medaillenspiegel noch vor Griechenland gelandet. Was steht an Begeisterung, an Einsatz, aber auch an körperlichem Raubbau und an mentalem Frust hinter einer Karriere im alpinen oder nordischen Wintersport? Eine solche beginnt in Österreich im Regelfall im Skigymnasium Stams. Dort hat sich Bernhard Braunstein zwei Jahre lang umgetrieben.

Die Filmdokumentation, die am 3. März in die österreichischen Kinos kommt, ist keine Belangsendung für jene Einrichtung, die quasi das Ausbildungsmonopol hat für jene jungen Menschen, die einmal als National-Heroes gehandelt werden, ob sie wollen oder nicht. Es ist aber auch kein Film, der sich an Missständen festbeißt. Die Enthüllungen von Nicola Werdenigg über Missbrauch im Sport und an sportspezifischen Schulen fiel ja genau in die Zeit der Dreharbeiten, habe diese aber, wie Braunstein versichert, nicht behindert.

Bernhard Braunsteins Anliegen: Nah dran zu sein an den jungen Protagonisten, sie für sich selbst sprechen zu lassen. Die Stimmen der Betreuer kommen eher aus dem Off: „Jeder geht hier als junger Athlet herein und hat ganz klare Vorstellungen“, sagt deren einer. „Sie wollen alle Olympiasieger, Weltmeister werden, zumindest im Weltcup erfolgreich sein. Eines braucht es unbedingt, einen eisernen Willen.“ Durchaus entlarvend ist der pessimistische Blick der Burschen, wenn ihnen ein Coach erklärt, das Allerwichtigste am Rennlauf sei die Freude. „Es müassts beim Rennen einfach brachial owitreten.“

Bernhard Braunstein in einem APA-Interview: „Ich war erstaunt, wie viel Solidarität es gibt und wie sich die Jugendlichen gegenseitig in schwierigen Phasen unterstützen.“ Ihn hätten auch die mentale und physische Stärke und das Können fasziniert, der Leistungsdruck habe ihn nachdenklich gemacht. „Was macht diese Fokussierung mit uns, was sind die Schattenseiten? Im Hochleistungssport ist das auf die Spitze getrieben, allerdings zieht sich die Idee der Leistung eigentlich durch viele Gesellschaftsbereiche.“ Nicht unter den Tisch gefallen ist der Raubbau an den jugendlichen Körpern. „Krücken, Gipse und Beinschienen gehören zum Alltagsbild, wenn man durch die Schule geht. Die Dimension der Verletzungsproblematik hat mich schon schockiert. Viele haben bereits im jungen Alter schwerste Verletzungen. Das ist einerseits eine Frage des Materials, das immer weiter gepusht und aggressiver wird, aber für mich auch eine Frage der Überbelastung.“

Das alles ist auch den Gesichtern der jungen Leute eingeschrieben, die Bernhard Braunstein groß ins Bild bringt: „A Sekundn – naaa!“, ruft ein vielleicht Zwölfjähriger, als er die Ergebnisse eines Testlaufs gemeinsam mit seinen Freunden studiert. „Der Film lebt vom gegenseitigen Vertrauen und natürlich von Menschen, die sich uns gegenüber geöffnet haben“, so Bernhard Braunstein gegenüber der APA. „Das funktioniert nicht, wenn man einfach mit laufender Kamera hingeht. Wir haben uns sehr diskret verhalten und mit den Schülerinnen und Schülern alles sehr genau besprochen. In all meinen Filmen ist mir ein sensibler, wertschätzender und toleranter Blick auf die Menschen vor der Kamera sehr wichtig.“ Auch das, wie man jüngst bei Ulrich Seidl sah, nicht ganz selbstverständlich...

Bernhard Braustein, 1979 in Salzburg geboren, hat hier Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Audiovision studiert. Sehr unterschiedlichen Themen und Menschen hat er Dokumentarfilme gewidmet. Einer seiner ersten war 2006 ein gemeinsam mit David Gross gedrehtes Porträt über Gerhard Amanshauser. Reisen im eigenen Zimmer. Der Schriftsteller war damals bereits schwer dement. Drei Jahre zuvor hatte Braunstein zusammen mit Martin Hasenöhrl einen faszinierenden Film über die Bewohnerinnen und Bewohner der Forum-Hochhäuser am Bahnhofsvorplatz gemacht, Kopfbahnhof. Der bis dato jüngste Film Braunsteins war Atelier de conversation, ein Film über einen Sprachkurs im Pariser Centre Pompidou, wo Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialer Stellung ihr Französisch perfektionieren.

Eine Emigrationsgeschichte ist Austro-American Youth (2012), über Österreichische Nazi-Flüchtlinge, die auf ein vielversprechendes Leben in der neuen Welt hoffen, aber unversehens ins Fadenkreuz der Kommunistenjagd während der McCarthy kommen. Sogar nach Malawi ist der Doku-Filmer schon gereist. Dort porträtierte er 2016 unter dem Titel Der wohlwollende Diktator einen Österreicher, der in postkolonialer Zeit nicht schlecht fährt mit einem Menschenbild, das wie aus einem anderen Jahrhundert wirkt.

Am 4. März hat „Stams – Österreichs Kaderschmiede“ im Filmkulturzentrum Das Kino Premiere, der Regisseur ist anwesend – www.daskino.at/filmZum Filmstill
Special Screenings gibt es am 15. März in Radstadt (Das Zentrum), am 16. März in Saalfelden (Kunsthaus Nexus) und am 29. März im Europark-Oval – www.stams-film.com
Bilder: PANAMA Film