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Da staunen die Lemuren

DIAGONALE / HORVATH / ZOO LOCK DOWN

23/03/23 Es gibt echte Corona-Gewinner. Ohne Lockdown hätte der Salzburger Dokumentarfilmer Andreas Horvath nie und nimmer einen solchen Film über den Zoo in Hellbrunn drehen können. – Die Österreichische Erstaufführung von Zoo Lock Down bei der Diagonale in Graz.

Von Reinhard Kriechbaum

Andreas Horvath ist ein radikaler Filmemacher. Helmut Berger, Actor, bei der Diagonale 2015 uraufgeführt, hat damals reichlich Diskussionsstoff hergegeben. Es war ein Grenzgang im Porträtieren eines Schauspielers. Wie nahe darf man einem Menschen, möglicherweise an der Grenze zur Zurechnungsfähigkeit, als Dokumentarfilmer rücken? Wo beginnt das Bloßstellen?

Nun eine Viecherei ganz anderer Art. Da war also der Salzburger Zoo notgedrungen menschenleer. Gehen wir mal davon aus, dass die Tiere sehr wohl mitbekommen haben, dass sich da draußen, vor den Gittern und Glasscheiben, etwas Gravierendes verändert hatte. Auch wenn für sie, die Affen und Halbaffen, die Rhinos und die Flamingos, die Bären und Löwen und was dort sonst noch auf überschaubarem Raum kreucht und fleucht, das Leben scheinbar normal weitergegangen ist. Regelmäßig gefüttert werden und vor sich hin leben, dann und wann vom Tierarzt Besuch bekommen. Was sonst noch gäbe es aus einer Natur-Illusionswelt zu erzählen, in der die eine Hälfte, jene hinter den Absperrungen, sowieso auf Dauer-Lockdown abgestellt ist?

Da schauen die Tiere also mit einer greifbaren Mischung aus Neugier und Vorsicht auf jenes Filmteam, das sich anstelle der Hundertschaften von Tagesbesuchern vor den Gehegen eingerichtet hat. Diese Leute brachten unbeschreiblich mehr Zeit und Geduld mit als ein durchschnittlicher Zoobesucher. „Vor und hinter den Kulissen“ mag eine abgegriffene Redewendung sein, trifft aber hier im Wortsinn zu, denn worauf Andreas Horvath hinzielte: Die Gehege, mögen sie noch so naturnah eingerichtet sein, stehen natürlich für eine Inszenierung, für eine wohl gestaltete Dekorationswelt aus Schein-Natur. Der Löwe blickt majestätisch, aber die Savanne im Hintergrund ist Wandmalerei. Genau so Kulisse die Ziegelwände mit Maya-Motiven in der Südamerika-Abteilung. Mit dem genauen Blick des Dokumentarfilmers bringt Andreas Horvath diese Brüche in den vermeintlich so authentisch gestalteten Räumen ins Bild. Sind sie zum Tierwohl eingerichtet oder ist es vor allem eine Inszenierung für die Besucher, also eine Art Öko-Freilichtmuseum?

Wenn man Tiere und ihre Zoo-Kunstwelt betrachtet, kommen natürlich auch Menschen ins Bild. Amazon und örtliche Nahversorger liefern das Futter, die Rationen werden vorbereitet, per Hubstapler an die Gehege geliefert, von Tierwärtern verteilt. Über einem Schreibtisch klebt die Notiz an der Wand: „Waschbären Baumstämme morsch.“ Es gibt immer was zu tun.

Eine Herausforderung fürs ganze Team ist die künstliche Besamung eines Rhinos. Da ist der Arm des Tierarztes beim inwendigen Ultraschall beinah zu kurz und die Lemuren, sonst immer in Bewegung, sitzen ganz stad da und schauen staunend der Prozedur zu. Wie die Schweine quieken die Alpokas bei der Winterfell-Rasur. Nachher schauen sie erbarmungswürdig dürr aus, aber das wird sich auswachsen. Der Atem stockt den Kinobesuchern, wenn ein Zoobediensteter in Badehose ins Piranha-Becken steigt, die Unterwasser-Pflanzen neu justiert und die Glasscheibe putzt. Die Raubfische sind satt und nicht angriffslustig. Im Gegensatz zum scheinbar reglosen Leguan. Er lauert auf die Heuschrecke, die ihm die Wärterin mit langer Pinzette auf ein Blatt gesetzt hat.

So einprägsam wie der Schnitt ist der Sound, ein Tongemälde aus Musique concrète, Thrill-Effekten nicht abhold, den Bildern adäquat. Thrill – ja, solchen gibt es, auch wenn im Lockdown alles scheinbar so schön ruhig und wohlorganisiert dahin geht. Es steuert ja alles aufs Wiederaufsperren zu. Da stürmen die Besucher und ihre Kinder dorthin, wo kurz zuvor noch die Lemuren ausgelassen und ungestört auch das Menschen-Gelände erkundet haben. Das Stimmengewirr jetzt ist geradezu ohrenbetäubend. Der Alltag hat den Zoo und seine Bewohner wieder, und wir dürfen drüber nachdenken, ob die sich dort wirklich wohl fühlen.

Die Diagonale in Graz dauert noch bis Sonntag (26.3.) – www.diagonale.at
Bilder: Diagonale / www.andreas-horvath.com

 

 

 

 

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