Ach wie schiach ist Rimini

GRAZ / DIAGONALE / RIMINI

07/04/22 Der Weg in die Alkoholiker- und Spielehölle ist sandig. Er führt über den Strand von Rimini, aber nicht zu der Jahreszeit, wenn dort die Touristen aufeinanderhocken. Ulrich Seidl zeigt Rimini und einen dort gestrandeten abgehalfterten Schlagersänger in den wenig attraktiven Monaten.

Von Reinhard Kriechbaum

Dort also ist Richie Bravo (Michael Thomas) nicht daheim, aber zu Hause. Im Seehundfell-Mantel, den er sich über die Unterwäsche stülpt wie einen schützenden Panzer, stapft er über den menschenleeren Strand. Wind, Nebel, Regen, sogar Schnee. Als Tourismus-Werbefilm taugt Rimini eher nicht. Richie säuft an menschenleeren Bar-Tresen. Zieht weiter in ebenso verlassene Spiellokale. Er hat in unsäglichen Hotel-Hallen Auftritte vor ältlichen Bus-Touristinnen. Die immerhin hängen noch an seinen Lippen und manch eine weiß auch ein anderes Körperteil von ihm zu schätzen. Das bringt ihm auch ein wenig Geld ein, das er gleich wieder verspielt und versäuft. „Witwentröster“ hat man früher mal über so einen gesagt.

Ulrich Seidl, der seine Regiekarriere einst als begnadeter Dokumentarfilmer begonnen hat, ist längst auch im Spielfilm-Genre ein Arrivierter. Den präzisen Doku-Blick hat er verinnerlicht. Rimini außerhalb der Saison und Ushgorod in der Ukraine (der Drehort für die Hotel-Innenaufnahmen) bieten ihm, dem leidenschaftlichen Beobachter, die Bühne für eine vielleicht gar nicht so abwegige Menschengeschichte an un-säglichen Un-Orten, die er detailverliebt abbildet und dabei natürlich auch, gar nicht zimperlich, optisch nachschärft. Das ist formgebendes Stilmittel. Es fehlt kein bildnerisches Klischee, aber in Rimini nimmt das jeder geeichte Italien-Urlauber gern für bare Münze. So muss es dort wohl aussehen, wenn man selbst nicht dort ist.

Der abgesandelte Schlagerstar ist immer dort, hält sich mühsam über Wasser. Ein Ungustl mit Restelementen von Charme, der gerade noch auf alte Damen wirkt. Richie Bravo (der echte Bravo-Rufe wohl seit Jahrzehnten nicht vernommen hat) wird eingeholt von seiner Vergangenheit in Gestalt der unehelichen Tochter Tessa. Nie hat sie ihn interessiert, nie hat er sich um sie gekümmert. Jetzt verlangt sie Geld als Wiedergutmachung für Jahre des Ignoriert-Werdens. Geldbeschaffung tut Not, und eine menschliche Annäherung bahnt sich zumindest an.

Michael Thomas streift sich die Rolle über wie den Seehundfellmantel. Man kann sich den Filmtyp und den Schauspieler schwer ohne vorstellen. Immer wieder die gleichen Gesten, die gleichen Blicke, so wie auch die gleichen Szenerien formal gliedernd ins Bild kommen. Da arbeiteten ein handwerklich gewievter Regisseur und ein hochkonzentrierter Schauspieler merklich auf gleicher Wellenlänge. Man möchte fast nicht glauben, dass viele Aufnahmen eigentlich für einen anderen Film entstanden sind. Ulrich Seidl hat sich nämlich im Nachhinein entschieden, aus dem ursprünglich geplanten Projekt einen Teil herauszulösen und mit Michael Thomas als abgehalftertem Schlagesänger einen eigenen Film zu machen. Auf Rimini wird also ein zweiter Teil folgen, noch heuer. Sparta soll er heißen. Die Latte liegt sehr hoch.

Neben Michael Thomas ein weiterer grandioser Darsteller, der 2017 verstorbene Hans-Michael Rehberg. Er spielte hier seine letzte Filmrolle als dementer Vater des Schlagersängers. Einmal besucht ihn der Sohn, und da singt der alte Knabe wacker Heute gehört und Deutschland und morgen die ganze Welt. Der sanges-routinierte Sohn sucht die Peinlichkeit mit einer Udo-Jürgens-Schnulze zu übertönen. Es fehlt im Detail nicht an Tragikomik.

Wie Ulrich Seidls Endlos-Trauerspiel zu einem (und zu welchem) Ende kommen könnte, kann man sich bis zuletzt nicht wirklich ausmalen. Der schlaue Fuchs löst es mit Hans-Michael Rehberg, der Schuberts Fremd bin ich eingezogen lauscht. Ach ja: Richie Bravos Strand-Märsche führen ihn immer wieder an wort- und bewegungslos herumlungernden Exilanten vorbei. Die sind auch in Rimini, gestrandet im Wortsinn. Irgendwie ist man im Nachhinein erstaunt, wie mit so vielen Klischees ein doch ziemlich genialer Film zustandekommen kann.

Filmstart in Österreichs Kinos morgen Freitag (8.4.) – www.ulrichseidl.com
Diagonale, das Festival des österreichischen Films in Graz, dauert noch bis 10. April – www.diagonale.at
Bilder: www.ulrichseidl.com