Was sich hinter den Masken verbirgt

FILMKRITIK / MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT

28/07/23: Eine Ménage á trois - ein altes Thema,von der französischen Regie-Meisterin Claire Denis originell, authentisch und emotional berührend aufbereitet. Mit Juliette Binoche in der weiblichen Hauptrolle.

Von Andreas Öttl

Die französische Regisseurin Claire Denis gehört unbestritten zu den wichtigsten Figuren des zeitgenössischen Weltkinos. Lange Zeit waren ihre Arbeiten nur auf Filmfestivals zu sehen was möglicherweise daran liegt, dass diese oft nicht klar in Genres einzuordnen sind und stilistische Aspekte mindestens ebenso wichtig sind als narrative und gesellschaftspolitische.
Selbst ein Meisterwerk wie Beau Travail aus dem Jahr 1999, welches kürzlich erst in einer von der britischen Filmzeitschrift „Sight and Sound“ durchgeführten Umfrage über die besten Filme aller Zeiten auf Platz 7 gewählt wurde, ist hierzulande kaum bekannt.

Erst die Zusammenarbeit mit Stars und die Hinwendung zu Inhalten, welche für die heimischen Filmverleiher scheinbar besser die Erwartungshaltung des Publikums an einen französischen Film erfüllen, haben ihr den Weg in die heimischen Kinos geebnet. Ihr neuer Film Avec amour et acharnement behandelt nominell ein Thema, das man schon aus zahlreichen französischen Filmen kennt (die Ménage-à-trois), ist jedoch origineller, authentischer und emotional berührender als der Großteil davon. Bereits in den ersten - für Ihr Werk charakteristisch sinnlichen – Filmminuten spürt man, dass man in den Händen einer Meisterin ist.

Ein Paar im fortgeschrittenen Alter (Juliette Binoche als Sara, Vincent Lindon als Jean) liebkost sich mit Leidenschaft im Meer, offenbar verliebt wie am ersten Tag. Die Kamera von Éric Gautier ist unmittelbar dabei, möchte am liebsten jeden Sonnenstrahl dieses idyllischen Glücksmoments einzeln einfangen und taucht immer wieder ins Wasser ein, als würde sie selbst mitschwimmen wollen. Dazu die atmosphärische Musik der britischen Alternative-Band Tindersticks, mit der Claire Denis bereits zum siebten Mal zusammen arbeitet.

Der darauffolgende Schnitt auf die unheimlich wirkende U-Bahn und den grauen Himmel im herbst-winterlichen Paris verweist bereits auf die Kostbarkeit solcher Momente und deutet eine Bedrohung an. Diese tritt dann auch bald in Erscheinung in Person von Saras einstiger Liebe, dargestellt von Grégoire Colin, der mit Jean in eine berufliche Partnerschaft eintritt. Das Wiederaufkeimen von Gefühlen für diesen Mann wird zum Belastungstest der Beziehung von Jean und Sara. Claire Denis ist dabei sehr ehrlich in der Anerkennung des erotischen Begehrens und der Ambivalenz der Gefühle, die Sara für beide Männer hat.

Höhepunkt des Films ist eine beinahe schmerzhafte, von Juliette Binoche und Vincent Lindon packend gespielte Szene, in der sich das in den vorigen Szenen noch liebevoll miteinander umgehende Paar emotional zerfleischt. Nicht alles im Film ist dermaßen gelungen (etwa die Szenen über die Beziehung von Jean zu seinem Sohn aus einer früheren Partnerschaft), dennoch ist der präzise Blick von Claire Denis auch in den Alltagsszenen spürbar, welche unter anderem auch gesellschaftliche Spannungen im heutigen Paris zeigen. Gesichtsmasken (der Film spielt während der Coronakrise) sind im Film noch allgegenwärtig und machen auch jetzt nach Ende der Pandemie noch thematisch Sinn – gelingt es der Regisseurin doch offenzulegen, was sich hinter den Masken verbirgt, die viele Menschen immer noch mit sich tragen.

Nächste Projektionen im Oval am 1., 3., 8.und 16. August – www.daskino.at; www.oval.at
Bilder: Das Kino