Entschleunigung in Schwarz-Weiß

NEU IM KINO / NEBRASKA

23/01/14 Ein alter Mann möchte sich seine letzten zwei Wünsche erfüllen: einen neuen Truck kaufen und einen Kompressor. Dafür muss er zuerst einmal seine Gewinnsumme in Höhe von einer Million Dollar in Lincoln, Nebraska abholen – fast 800 Meilen von seinem Wohnort entfernt.

Von Oliwia Blender

455Ohne Führerschein und gegen den Willen seiner Familie startet Woody gemeinsam mit seinem Sohn Ross (Bob Odenkirk) einen Road Trip – und landet dabei in seiner Vergangenheit. Denn eigentlich geht es in diesem Film gar nicht ums Geld. Denn eigentlich wünscht sich Woody nur zwei Dinge sehnlichst: seinen Selbstwert zurückzuerlangen und einmal im Leben etwas selbst zu entscheiden - und beides kann man mit Geld nicht erkaufen.

Alexander Paynes Film „Nebraska“ erzählt von den Folgen getroffener oder auch nicht getroffener Entscheidungen. Der Film ist ein behutsames Epos über Entschleunigung in schwarz-weißen Tönen.

451Gewonnen hat Woody Grant (gespielt von Bruce Dern) eh nichts. Alleine seine Gutgläubigkeit lässt ihn einen irreführenden Werbebrief ernst nehmen. Woodys Sohn Ross nimmt sich gegen den Willen der restlichen Familie seiner an und kutschiert den wortkargen alten Herrn Richtung Nebraska. Einfach um etwas Zeit mit seinem Vater zu verbringen und auch, um sich seinen eigenen Wünschen und Entscheidungen näher zu bringen.

Auf dem Weg passiert so allerlei. Es werden Dinge verloren und wieder gefunden. Sinnfragen thematisiert, aber wenig wirklich verbalisiert. Die Vater-Sohn-Geschichte ist voll von Fehlern, Missverständnissen und irritierendem Verhalten: Man kennt einander nicht wirklich.

453Doch ein unvorhergesehener Stopp in dem kleinen Heimatstädtchen Hawthorne ändert die Perspektive und Rollenverteilung. Woodys Frau Kate (June Squibb), die filterlos alles ausspricht was ihr in den Sinn kommt, initiiert dort ein Familientreffen. Die Neuigkeit, dass Woody ein zukünftiger Millionär sei, verbreitet sich rasend schnell und die Reaktionen der alten Bekannten und Verwandten überraschen nicht. Die Söhne erfahren von familiären Hintergründen, von Woodys Korea Vergangenheit, seiner ersten Liebschaft und kämpfen schlussendlich gemeinsam für etwas mehr Würde in Woodys Leben.

Die Entscheidung, den Film in schwarz-weiß zu drehen, fördert die Konzentration auf das Wesentlich, aber auch den ästhetischen Reiz. Detailreich und fokussiert spielt die Provinz ihre eigene Hauptrolle. Der Ort Hawthorne wirkt nicht lieblich, auch ohne Gentrifizierung längst kein Idyll mehr, sondern eine realistische Mischung aus Alt und Neu, die Woodys Vergangenheit plastisch spiegelt.

454Auch die dortige Perspektivenlosigkeit ist ein zentrales Thema. Männer und Frauen haben eine klassische Rollenverteilung und wirken dabei unauffällig und geradezu natürlich. Interessen beschränken sich auf Bier trinken - in der Kneipe und vor dem Fernseher, während man über Autos und Football spricht. Sprechen tut man eh nur sehr wenig und selten wirklich miteinander. Viele Szenen kommen ganz ohne Dialoge aus, es dominieren Blicke und wortlose Momente. Emotionen werden durch Körperhaltung demonstriert.

Bruce Dern als Woody verkörpert überzeugend einen Mann in mehreren Schichten, er erinnert an ein kleines Kind, welches sich von seiner fixen Idee nicht abbringen lässt, in einer Mischung aus Verwirrung, Klarheit, Hoffnung und Enttäuschung. Oft werden in seinem Kontext Wörter wie Demenz und Pflegeheim verwendet, dadurch schwenkt die Grundstimmung im Wechsel von Komik zu Dramatik. Auch die Figuren profitieren von diesem Umstand, Graubereiche bestimmen den natürlichen Charakter.

Ort und Zeit wurden für diesen Film akribisch ausgewählt und hervorgehoben, Kritik in Bezug auf Langsamkeit und Detailverliebtheit wird es vielleicht geben. Wer aber Paynes Filme wie „Sideways“, „About Schmidt“ und „The Descendants“ kennt, der versteht die Absicht und das Gespür, welche sich hinter den sorgfältigen und gründlichen Figurenzeichnungen verbergen.

Bilder: Polyfilm