Belvedere über der Tankstelle

SUPERGAU / PROJEKTE

14/04/21 Wohnen über dem Supermarkt? Die Idee gegen die Verschwendung von Grünraum taucht ungefähr so oft auf wie das Ungeheuer von Loch Ness. Für das Landkunst-Festival Supergau haben sich Maria Kanzler und Fabian Ritzi eine „Architektonische Intervention auf einem Tankstellendach“ ausgedacht.

Von Heidemarie Klabacher

Belvedere Flachgau heißt das Projekt über der Eni-Tankstelle in Strobl. Damit wollen Maria Kanzler und Fabian Ritzi in Strobl „Luxus für alle Gestalten“. Sprich, „den Luxus die Aussicht genießen zu können, in Ruhe den Blick über die Landschaft streifen lassen“. Und von da oben sieht man die Tankstelle nicht. Ob man Benzin wird riechen können? Die beiden wollen jedenfalls bestehende Gebäude nutzen, „Raum nach oben freimachen“ und mittels „Perspektivenwechsel die Wahrnehmung verändern“. Der Begriff Belvedere, so erklären die Performer, bezeichne „in der Architekturgeschichte Gebäude die eigens dafür angelegt wurden um einen schönen Weitblick zu bieten“.

Der Supergau ereilt Pendler nicht nur beim Stau: Mit Bustopia wollen Peter Fritzenwallner und Wolfgang Obermair Busstationen und die Innenräume der Busse der Linie 150 „zu Orten performativer und skulpturaler Konfrontation“ machen. Die Performer wollen mit den Betroffenen im Wartehäuschen in Fuschl und im Bus über „die individuelle Bewegung, die tägliche Routine der Reise zum Arbeitsplatz, aber auch das Warten der Menschen auf den Bus und auf das bessere Leben“ reden.

Eine gelbe Hülle eines ausgedienten Heißluftballons wird mehrmals täglich befüllt und sich jeweils zu einer „hausgroßen, temporären, begeh- und bespielbaren Skulptur“ aufblähen: Mit ihrem Projekt Das Gelbe vom Gau wollen Moritz Matschke und Anna Pech in Seekirchen beim Kothäusl Natur inszenieren als „deformierten Sonnenaufgang“. Der sich wiederholende, ein- und ausatmende Rhythmus der Ballonbefüllung sei ein kulturelles Ereignis.

Erdmigration haben Anna Stadler und Lukas Gwechenberger im Sinn. Zehn kleine Erdziegel werden an verschiedenen Stellen ausgestochen und miteinander vertauscht über den gesamten Flachgau neu verteilt werden. Eine humoreske Führung, die in einem zwanzig-minütigen Tanz-Theaterstück mündet, ist die Performance Heilige Scheiße. Damit will Anna Adensamer in zwei Aufführungen im renaturierten Moor Ursprung Elixhausen an den natürlichen „Kreislauf vom Essen zum Scheißen zum Essen“ erinnern.

Auch gesungen werden soll beim Supergau, und zwar Here, Somewhere Else. So heißt das Multimediale Chor-Konzert mit Stefano D’Alessio und einem Chor von vier Sängern in Mattsee bzw. Elixhausen: „Rhythmische Blitze beleuchten ihre Gesichter, kurze Lichtblicke, geleitet von ihren Stimmen. Gesangliche Fragmente digitaler Gespräche, Wortschichten und Bedeutungen bilden einen abstrakten und mutierenden Cyberspace.“ In Summe sollen „Licht, Gesang, Performance, Umgebung und Geräusche“ sich verflechten.

Geradezu poetisch mutet der Titel Sirrende Mücken im surrenden Licht an: Flora Schausberger lädt zu einem Audiowalk auf Umwegen in und um Strobl herum: „Mit geschärften Augen und sensibilisierten Ohren wird die Aufmerksamkeit auf Details der dörflichen Topografie gelenkt, die in der Flut des Alltags untergehen.“

Tribunal ist eine kontemplative Sound- und Rauminstallation von Clemens Mairhofer beim E-Spannwerk Elixhausen. „Spannungsfeld“ einmal ganz wörtlich genommen bietet die in Wien lebende Künstlerin Alice von Alten mit ihrer Land Art-Installation Straining Field: Drei frei stehende Bäume, „die eine besonders schräge oder verbogene Wuchsform vorweisen“ werden mit Seilen und Spanngurten verbunden. „Es scheint als ob die Spanngurte, die für den menschlichen Eingriff stehen, verantwortlich seien für die Wachsform der Bäume.“ Es entstehe ein Spannungsfeld, „das unser Verhältnis zu Natur und anderen Lebewesen in Zeiten des Klimawandels und der Globalisierung subtil aber kritisch hinterfragt“.

Wartehäuschen scheinen die Super-Gauerinnen und Gauer zu faszinieren: „Ausgehend von Mattsee verwandeln Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl Bushaltestellen entlang der Linie 120 in Recherchekabinen, Miniatur-Gewächshäuser, Werkstätten oder Performance-Bühnen und sammeln so Geschichten und Ideen für eine Zukunft mit Zukunft.“ So heißt auch das Projekt: Zukunft mit Zukunft. Dazu gehört auch der Futurebikestop mit Jan Phillip Ley, der in der Ortsmitte von Mattsee eine temporäre Fahrradwerkstatt einrichtet – als „Ausgangspunkt für das Erzählen und Hören inspirierender und informativer Geschichten rund ums Thema Nachhaltigkeit im Flachgau“.

Rund um die Trumer Seen findet sich dann eine weitere Verdichtung künstlerischer Projekte. Schwer zu ertragen im doppelten Sinne ist die Arbeit Zaunbewegung von Angelika Wischermann, die in mühseligen kleinen Schritten ihren Weg entlang des Obertrumer Sees mit fünf Bauzaun-elementen finden muss. Hilfe ist ausdrücklich nicht erwünscht, „nur das Feierabendbier teilt sie gern mit ihren Zaungästen“. Hoffentlich geht’s. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, beim Teufelsgraben, ist St. Peter angesagt – eine theatrale Performance des Wiener Kollektivs Nesterval – Herr Finnland und Frau Löfberg. Ob das Stück in der Gemeinde Seeham als begehbare Dreharbeiten für eine adaptierte Filmversion oder als tatsächlicher Theaterbesuch zu erleben sein wird, entscheidet Corona.

Supergau. Festival für zeitgenössische Kunst von 14. bis 23. Mai – www.supergau.org

Bilder: Supergau / Maria Kanzler (1), Matschke Pech (1); Bernhard Müller (1)

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