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Briefe zwischen Nazi-Zuchthaus und Türkei

HINTERGRUND / RADSTADT / SCHÜTTE-LIHOTZKY

07/03/23 Der deutsche Architektur-Historiker Thomas Flierl entdeckte auf dem Dachboden im ehemaligen Radstädter Privathaus der berühmten österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky einen Schuhkarton mit 126 vergilbten Briefen, geschrieben von 1941 bis 1945 zwischen der Gestapo-Gefangenen in Bayern und ihrem Ehemann im türkischen Exil.

Von Reinhard Kriechbaum

Daraus entstand das Buch „Mach den Weg um Prinkipo, meine Gedanken werden Dich dabei begleiten!“. Daraus lesen morgen Mittwoch (8.3.), am Internationalen Frauentag, in Radstadt Ulrike und Peter Arp. Auch der Autor wird da sein zu einem Gespräch.

Radstadt würdigte 1998 die Architektin mit einer Platzbenennung, hier befindet sich das kulturelle Zentrum der Stadt und der Region, das Zeughaus am Turm. „Margarete Schütte-Lihotzky haben wir im Vorstand noch alle persönlich gekannt und erlebt“, erzählt Elisabeth Schneider, die Leiterin des Kulturvereines Das Zentrum. „Ihr lebenslanges Interesse an politischer und kultureller Bildung hat mich fasziniert und geprägt. Nicht von ungefähr steht ein Zitat von ihr auf der Fassade des Zeughauses: Jeder Millimeter macht Sinn.“

Als herausragende Architektin einer sozialen Moderne und verfolgte kommunistische Widerstandskämpferin ist Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) eine legendäre Gestalt der österreichischen Zeitgeschichte. Bislang unbekannt blieb, dass sich fast der gesamte Briefwechsel, den sie mit ihrem Ehemann Wilhelm Schütte (1900–1968) während ihrer Haftzeit (1941–1945) geführt hat, erhalten hat. Margarete Schütte-Lihotzky war zuerst in Wien interniert, dann im Zuchthaus in Aichach in Bayern.

Margarete Lihotzky und Wilhelm Schütte hatten einander in Frankfurt kennen gelernt, wo beide am Hochbauamt arbeiteten und mit sozialem Wohnbau ihre städtebaulichen und architektonischen Vorstellungen zu verwirklichten suchten. Sie waren dann gemeinsam in Moskau und ab 1938 in Istanbul tätig. Das war damals ein interessanter Boden für Architekten, weil Atatürks Staatsreformen auch viele Aufträge sicherte. Auch Clemens Holzmeister, der spätere Erbauer des großen Festspielhauses in Salzburg, war in den Kriegsjahren in der Türkei tätig. Dort bildeten Auslands-Österreicher eine Auslandsgruppe der KPÖ und suchten Widerstand gegen die Nazis zu leisten. Als Nicht-Jüdin bot sich Margarete Schütte-Lihotzky für Kurierdienste an. Bei einer Kurierfahrt für die KPÖ nach Wien wurde sie kurz vor Weihnachten 1940 enttarnt, verhaftet und zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Wilhelm Schütte blieb in Istanbul und leistete ebenfalls Widerstand gegen das Nationalsozialistische Regime. Darüber wusste man bisher wenig.

Anhand des Briefwechsels und gestützt auf die Prozess-Akten im Bundesarchiv Berlin, auf Dokumente des Komintern-Archivs in Moskau, auf Akten des Britischen Militärgeheimdienstes in London, auf neuere Forschungen zum Widerstand der KPÖ jener Jahre sowie eigene Recherchen in der Türkei zeichnete Thomas Flierl in dem Buch das Leben von Margarete und Wilhelm Schütte zwischen 1937 und 1945 nach. Er sei in Kontakt mit den Briten gestanden und habe an der Formulierung der Position der Briten und damit der Alliierten zur staatlichen Existenz von Österreich nach dem Krieg beigetragen, so die Erkenntnis von Thomas Flierl.

Aus dem Briefwechsel zwischen den Eheleuten könne man auch „einen Bildungsquerschnitt durch bürgerlich humanistisch gebildete, politisch Links stehende Leute im Widerstand“ herauslesen, erklärt der Buchautor. Eine interessante Marginalie: Die Türkei war damals auf Neutralität bedacht, es sollte also nicht öffentlich werden, dass Margarete Schütte-Lihotzky wegen kommunistischer Betätigung einsaß. Die Briefe an ihren Ehemann, geschrieben auf Anstaltspapier, gingen deshalb an ihre Schwester Adele in Wien, die sie abschrieb und weiter sandte. Eben deshalb ist der Briefwechsel weitgehend erhalten.

Was aus dem Briefwechsel, der viel Nähe und Empathie füreinander zeigt, nicht hervorgeht: Bald nach dem Wiedersehen trennten sie sich die Eheleute.

Thomas Flierl: Mach den Weg um Prinkipo, meine Gedanken werden Dich dabei begleiten! Der Gefängnis-Briefwechsel 1941–1945. Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, 2021 – www.lukasverlag.com

Buchpräsentation, Lesung und Gespräch am Mittwoch (8.3.) um 20 Uhr im Zeughaus am Turm, Radstadt – www.daszentrum.at

Bilder: Das Zentrum / Archiv der Universität der Angewandten Kunst Wien

 

 

 

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