DACHSTEIN DIALOGE 2025
01/10/25 Gerade angesichts der Flut an sozialen Medien würden analoge Räume wie die Dachstein Dialoge, die von 19. bis 25. September stattfanden, immer wichtiger. Das betont Philipp Blom, künstlerischer Leiter des Festivals in Filzmoos und in der Ramsau am Dachstein.
„Wir sind kein Festival für Kulturkonsumenten, sondern möchten engagierte Menschen ansprechen: mit direkten Fragestellungen, die in der gemeinsamen Auseinandersetzung Räume für neue Perspektiven geöffnet haben“, so Blom. „Wir können uns schwierige Dinge zumuten, ästhetisch und intellektuell.“ Zur Debatte stand diesmal das Thema Wer gehört zu uns? Eva Menasse in ihrer Eröffnungsrede: Dialogräumen wie jene eines Festivals seien in Zeiten wachsender Polarisierung und gesellschaftlicher Spaltung besonders wichtig, machen sie doch den gleichrangigen Diskurs unterschiedlicher Stimmen einer offenen, pluralen Gesellschaft möglich.
Wie kann Toleranz in pluralistischen Gesellschaften gestaltet werden? Das war ein Thema in der Abschlussrede des ukrainischen Philosophen und Publizisten Volodymyr Yermolenko. Er betonte die lebenswichtige Bedeutung von Kultur gerade in schwierigen Zeiten, von Büchern für zerstörte Bibliotheken an der Front bis zu Literaturfestivals und Konzerten in Bunkern. Er ermahnte aber auch die Länder Europas dazu, ihre Verantwortung auszuweiten und nicht in der „Machtlosigkeit der Mächtigen“ zu verharren, sondern zu erkennen, dass freie Kultur auch verteidigt werden muss.
Ebrahim Afsah, iranisch-deutscher Jurist, und die österreichische Journalistin Tessa Szyszkowitz diskutierten zu „Wer ist Nachbar, wer ist Feind?“. Welcher Wertekanon steht hinter solchen Fragen? „Wollen wir einen freiheitlichen Staat, so kann dieser nur funktionieren, wenn wir uns über den Grundkanon von Werten einig sind, der täglich vermittelt und auch in der Praxis von allen gelebt wird“, so Afsah. Und Szyszkowitz ergänzte: „Was uns bedroht sind unsere eigenen Regierungen und die undemokratischen Angriffe auf die Meinungsfreiheit – das hat Auswirkung auf uns alle. Wir müssen uns fragen, wie stark unsere demokratische Verfasstheit ist, um uns nicht selbst als demokratische Gesellschaft abzuschaffen.“
Das Festivalmotto Wer gehört zu uns? war Ausgangspunkt eines Gesprächs zwischen Philipp Blom und der Journalistin und Autorin Solmaz Khorsand. Sie regt dazu an, in einer Zeit, in der Migration und Pluralität gesellschaftliche Realität sind, über die Grenzen traditioneller Identitätskonzepte hinaus zu denken und kulturelle Diversität als Bereicherung zu verstehen.
„Das Ende des Westens – eine historische Herausforderung?“ war Titel eines Gesprächs mit der Falter-Journalistin Barbara Tóth. Auch sie sieht wie Philipp Blom den Westen als Nachkriegskonstrukt gescheitert. „Die europäischen Länder haben sich in den letzten fünfzig Jahren immer auf die USA und die damit verbundenen Sicherheitsgarantien verlassen und nicht an der eigenen Souveränität gearbeitet – das ist jetzt die Herausforderung“, ist Tóth überzeugt. Gleichzeitig würden wir vor der Herausforderung stehen, dass sich immer weniger Menschen mit demokratischen Werten identifizieren.
Melisa Erkurt, Journalistin, Publizistin und Gründerin von Die Chefredaktion, Reinhard Klaushofer, Leiter des Österreichischen Instituts für Menschenrechte und des Fachbereichs Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Universität Salzburg und Fred Ohenhen, nigerianisch-österreichischer Experte für interkulturelle Bildungsarbeit aus Graz, waren Gäste der Diskussionsveranstaltung Identitäten: Ich bin viele. Einig war man sich darüber, dass Österreich zwar eine Zuwanderungsgesellschaft ist, dies jedoch von vielen als Problem empfunden wird, anstatt Vielfalt als Bereicherung zu sehen. Ohenhen: „Ich bin Österreicher, aber wie Identität hier wahrgenommen wird, bestimmen immer noch nicht nur der Pass, sondern auch Religion, Hautfarbe oder Sprache.“ Und Klaushofer betont, dass „in einer Identität alles Platz haben muss, soweit ich die Grenzen des anderen nicht verletze. Identität ist nicht nur etwas, das rechtlich geschützt, sondern gelebter Teil des Alltags sein muss.“
Raoul Schrott demonstrierte in seinem Vortrag Die Abenteuer der Prinzen von Serendip, dass das, was unsere Kultur ausmacht, großteils aus anderen Ländern übernommen wurde: „Kultur ist immer etwas Diverses, wie auch die Sprache – an ihr lässt sich nachvollziehen, wie Fremdes in das Eigene integriert wird. Das erhält Kultur lebendig.“
Traumatisierungen und die damit verbundene Sprachlosigkeit über die Generationen hinweg waren Ausgangspunkt einer Diskussion von dem Psychiater und Autor Paulus Hochgatterer und der ukrainischen Schriftstellerin Marjana Gaponenko. „Das Unvermögen, über das Erlebte zu sprechen, kann sich auch auf die Umgebung der Traumatisierten übertragen – und eine ganze Gesellschaft über Generationen hinweg sprachlos machen. Zentral in der Arbeit mit Betroffenen ist es, das Trauma erzählbar zu machen, ein gemeinsames Narrativ zu finden,“ so Hochgatterer. Für Gaponenko ist Traumabearbeitung ein Prozess, „wie die Häutung einer Schlange – ich weiß nicht, wie ich danach ausschaue, aber ich habe das Wissen des Werdens, dass meine Geschichte nicht zu Ende ist.“ (Dachstein Dialoge)
Thema der nächsten Dachstein Dialoge von 18. bis 24. September 2026 ist „Worauf kann ich vertrauen?“ – www.dachstein-dialoge.at
Bilder: Dachstein Dialoge / Martin Huber (1)
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Bauernkriege aktuell. Toleranz gesucht