Jedermann schreibt seinen Text

BUCHBESPRECHUNG / HOFMANNSTHAL MORETTI

18/07/19 Er ist – Simonischek hin, Brandauer her – der wohl charismatischste reiche Mann, der je auf dem Domplatz gestorben ist. Nährt sich die Überzeugungs-Kraft dieser Darstellung auch aus der akribischen Auseinandersetzung des Schauspielers mit dem Originaltext? Tobias Moretti hat rechtzeitig zur Festspiel-Premiere am Samstag (20.7.) seine eigene Jedermann-Fassung vorgelegt.

Von Heidemarie Klabacher

Darauf verfing sich ja der große Plan.
Ich leg hier einen Garten an – hier rundherum
Den Dom mit Platz, den bau ich um
Das Dach kommt weg – die Heiligen, alles weg
Der Altar drin bleibt, mit neuem Zweck.

„Wenn man heute einen Goethe, Kleist oder Schiller bearbeiten darf, kann man das auch bei Hofmannsthal.“ Tobias Moretti, Jedermann zu Salzburg seit 2017, hat seine eigene Textfassung des Spiels vom Sterben des reichen Mannes vorgelegt. Das Buch ist im Innsbrucker Haymon Verlag erschienen und stellt Morettis Bearbeitung Hofmannsthals Original auf jeweils einer eigenen Seite respektvoll gegenüber.

Wobei „Original“ auch ziemlich relativ ist: Der wiedergegebene Originaltext von Hugo von Hofmannsthal folge der Salzburger Festspielaufführung von 2013, heißt es im Impressum. Die Festspiele ihrerseits spielten, so Moretti im Nachwort, seit Jahrzehnten den Originaltext mit „immer wieder abgewandelten Kürzungen“. Eine solche Salzburger Strichfassung war Grundlage seiner Bearbeitung, „die dann im Arbeits- und Probenprozess auch noch Wandlungen erfahren habt“. So unterscheide sich seine Bearbeitung auch von der aktuellen Spielfassung der Inszenierung von Michael Sturminger... Arbeit auf Jahrzehnte jedenfalls für Germanisten und andere quellenkritische Exegeten.

Die Buhlschaft als kreischend kopfloses Huhn von der Bühne stürzend: Das machte – „Jahrhunderte lang“, möchte man am liebsten sagen – gehörigen Effekt. Doch um wie viel effektvoller ist die von Moretti vorgeschlagene Antwort der Geliebten auf Jedermanns simple Frage Werd' ich verlassen von euch allen? - Ja Jedermann. Dein Spiel will mir nicht mehr gefallen. Dem Original wie der Salzburger Spielfassung 2013 fehlt diese verstörende Härte (2019 ist die drin, Anm. nach der Premiere).

„Der Konvention des ewig Gehörten“ habe er versucht, zu entfliehen, schreibt der amtierende Jedermann. Vor allem gesucht habe er eine „Nachvollziehbarkeit, warum für so einen wie Jedermann der Höllenofen angefeuert wird“: „Die Buhle oder das 'schlamperte Verhältnis' sind nicht die Ursache für den Zorn Gottes – vielleicht schon eher das Bekenntnis zur 'totalen Verfügbarkeit von Allem', das die beiden verbindet und den Menschen an sich übersteigt.“

Daher zeige „sein“ Jedermann auch nicht das „Modellchen“ des Lustgartens, sondern stehe „mitten in diesem Lustgarten“: „Es ist der Dom mit samt dem Domplatz und seinem Drumherum, den er zum Lusthaus macht, als Provokation und Metapher per se, ein Hauptgeschenk an seine Kurtisane.“ Das ist, virtuos formuliert es Moretti, tatsächlich „eine andere Dimension von ignorantem Selbstverständnis, von Egomanie, Macht und Gedankenlosigkeit. Auch von Blasphemie“.

Dieses brutal-egoistische quasi neoliberale Selbstverständnis spiegelt die neue Fassung gegenüber dem Original sogar im Liebesgetändel:

Jedermann
Du Süße, schaff ich dir noch Sorgen?
Wir lassen sie unter Blumen verborgen
Und wissen nirgend nichts von Schlangen,
Als zweien, die gar hold umfangen“,
Buhlschaft
Wie, wären die mir auch bekannt,
Wie werden diese denn genannt?
Jedermann
Das sind die lieben Arme dein,
In diese sehn ich mich hinein.

Jedermann
Wir wissen nirgends nichts von Schlangen
Als diese, die uns nun umfangen
Die wie Efeu uns umringen
Das Leben aus dem Rhythmus bringen.
Buhlschaft
Wir sind ein Tier – und mit zwei Rücken
Die gegenseitig sich erdrücken.
Jedermann
Du und ich, wir brauchen keine Welt
Wir sind die Welt!

Tobias Moretti: Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes. Originaltext von Hugo von Hofmannsthal. Bearbeitung von Tobias Moretti. Haymon Verlag, Innsbruck/Wien 2019. 175 Seiten, 19,90 Euro – www.haymonverlag.at
Für alle, die mit der vergleichenden Exegese gleich beginnen wollen, hier der Link zum Original im Projekt Gutenberg - gutenberg.spiegel.de
Bilder: Cover/Haymon Verlag; Salzburger Festspiele/Matthias Horn (2)