Verliebt? Das bin ich ja alleweil

BUCHBESPRECHUNG / MENSCH BRUCKNER!

08/05/20 Zugegeben, Frauen wären dem Rezensenten als allerletztes eingefallen als Aufhänger für ein Buch über Anton Bruckner. Über sein Leben gibt es ja generell nichts allzu Aufregendes zu notieren. Selbst die Legendenbildung – Stichwort Musikant Gottes – ist in seinem Fall eher bescheiden ausgefallen. Wie war das also mit Bruckner, dem ewigen Brautjäger?

Von Reinhard Kriechbaum

Hier soll dezidiert der Mensch Bruckner greifbar werden. Und dies mit Rufzeichen, was man auch so lesen könnte: Bruckner auf Jungfernfang, oh Gott, oh Gott, oh Gott! Seiner langjährigen Haushälterin Katharina Kachlmayr soll er einmal anvertraut haben: Einmal in meinem Leben, als ich noch jung gewesen bin, hab ich ein Mäderl geküsst. Da hat der oberösterreichische Bursch mit lebenslang perfektionierter Leidenschaft fürs zölibatäre Leben also eine junge Dame grenzgenial angeorgelt...

Friedrich Buchmayr hat sich vertieft in die Lebens- und Liebesgeschichte und lässt August Göllerich, den von Bruckner autorisierten Biographen, eine ansehnliche Menschenschar zum Kolloquium einladen: Man darf sich das als einen halben Konzertsaal voller Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vorstellen, die alle irgend etwas mitbekommen zu haben glauben. Auf gut dreihundert Steiten versprühen sie Oral History in einer Üppigkeit, gegen die das schwere Blech eines jeden Orchesters einpacken kann.

Hat man Bruckner schon in St. Florian mit vermeintlicher Katechismus-Weisheit auf Höllentemperatur eingeheizt und ihm jede Annäherung ans andere Geschlecht vermiest? Oder war Bruckner ein unverbesserlicher Hallodri, der jedem Rock nachgelaufen ist, sofern ein weibliches Wesen deutlich unter zwanzig drin steckte? Kurz: Hat er nun, oder hat er nicht?

Ein Mädchen gesehen, ungeschickt geflirtet, mit der Tür und einem Heiratsantrag ins Haus gefallen, prompt durchgerasselt als Brautwerber. So war das oft und oft. Gebetbücher als Verlobungsgeschenke haben so manche junge Dame befremdet. Die Namen sind austauschbar, von Marie Payrleithner, Chorsängerin in Steyr, bis Aurelia Stolzar, Serviermädchen in Wien. Vom Wiener Fräulein Anna (ohne überlieferten Nachnamen) bis zu einer ebenfalls nicht mehr greifbaren Adele, die an Bruckners Sarg weinte (und ihn kurz vor seinem Tod noch um Geld anpumpte). Wohlmeinende Herren des Gesangsvereins Frohsinn haben den jungen Bruckner bei einem Sängerfest in Nürnberg mit der Kellnerin Olga in eine kompromittierende Falle gelockt, so dass dieser den Hut nahm als Chorregent.

Pikant, dass der Komponist einer gewissen Josefine Lang den Hof machte und zwanzig Jahre später deren Tochter Karoline Weilnböck nachgestiegen ist. Als Klavierschülerin musste man vor Bruckner sowieso auf der Hut sein, und an der Wiener Lehrerbildungsanstalt St. Anna hat er einen respektablen #MeToo-Skandal entfacht. Mit der Wiener Konservatoriumsstudentin Marie Demar hätte gar eine Art Künstlerehe entstehen können, sie ließ Bruckners Porträt auf ihr Ex Libris drucken. Mit Wilhelmine Reischl hätte es auch etwas werden können, musikverständig wie die Kaufmannstochter aus Altheim war. Wäre Bruckner bloß nicht längst ins Großvater-Alter geschlittert gewesen. Ida Buhz, Stubenmädchen im Hotel Kaiserhof in Berlin, ist als Bruckners Freundin immerhin bei manchem Konzert neben dem Komponisten gesessen.

Das alles ist oft witzig aufbereitet in Rede und Gegenrede, braucht dann wieder einen langen Atem wie eine Bruckner-Symphonie. Was der Autor, im Hauptberuf Bibliothekar in der Stiftsbibliothek St. Florian, in diesem fingierten liebesgeschichtlichen Kolloquium durch literarische Kombination bewusst macht: wie sehr historische Quellen und dokumentierte Aussagen immer auch der Wertung und der Kritik bedürfen – und vor allem einer sinnvollen Nebeneinander- und Gegenüberstellung. Friedrich Buchmayr betreibt gerade mit geistreicher Verbindung, mit konstruierter Rede und Gegenrede ein anregendes biographisches Vexierspiel zwischen Fiktion und Glaubwürdigkeit.

Friedrich Buchmayr: Mensch Bruckner! Der Komponist und die Frauen. Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2019. 336 Seiten, 28 Euro – www.muerysalzmann.at