Abenteuer mit Marianne

BUCHBESPRECHUNG / BAYER / GESCHICHTEN MIT MARIANNE

05/06/20 In Xaver Bayers Geschichten mit Marianne geht es stets um alles oder nichts: Da wird das Schicksal getestet und schon im ersten Kapitel sterben die Protagonisten, es wird über den idealen Selbstmord diskutiert und ein gewöhnlicher Waldspaziergang endet in einer Treibjagd auf Menschen.

VON VERENA RESCH

Die Ausgangssituation ist immer gleich. Stets beginnt es damit, dass Marianne eine Idee hat, einen Ausflug machen will, ein Spiel ersinnt oder ihren Partner auf eine Mission schickt: „Es handelt sich eher um ein Abenteuer. Oder wenn du willst: eine Mission. Oder, weniger spektakulär ausgedrückt, um eine Erfahrung.“

Das Buch besteht aus zwanzig in sich abgeschlossenen Kapiteln, die in keiner logischen Reihenfolge zu stehen scheinen und in denen die Geschichte von Marianne und ihrem Freund, dem Ich-Erzähler, erzählt wird.

Diese Ausflüge führen das Protagonistenpaar in den Zirkus, ins Fußballstadion oder in den Swingerclub. Was meist harmlos beginnt, endet jedoch jedes Mal völlig überraschend und das Unerwartete bricht wie ein fürchterlicher Alptraum in die Wirklichkeit der Protagonisten ein. Nicht nur einmal endet der Ich-Erzähler in einer Situation, in der er die Kontrolle verliert. So steckt er etwa in einem Aufzug fest, der unaufhörlich nach oben zu fahren scheint oder kreist ein anderes Mal mit seinem Auto in einem unendlichen Kreisverkehr, aus dem es keinen Ausweg gibt. 

Nicht nur einmal enden diese Ausflüge tödlich und immer öfter kommt dem Ich-Erzähler seine Marianne abhanden – sei es, weil sie tatsächlich unauffindbar ist, stirbt oder weil die Erinnerungen an sie verblassen: „Anfangs ist sie bloß ein bisschen diffuser geworden, dann aber sind ihre Eigenheiten, alles, was mir an ihr immer so vertraut war, langsam aus meinem Bewusstsein verschwunden, und irgendwann habe ich nicht mehr mit Gewissheit sagen können, ob Marianne blonde oder schwarze Haare hat, ob sie schlank oder mollig ist, und selbst, was ihren Namen anbelangt, war ich mir nicht mehr sicher. Marianne? Oder doch Marlen oder Madeleine oder Magdalena? Ich bin sogar im Zweifel, ob ich Marianne überhaupt je begegnet bin oder ob sie nicht einfach nur eine Ausgeburt meiner Phantasie ist.“

Die scheinbar lose aneinandergereihten Kapitel lesen sich wie einzelne (Alp-)Traumsequenzen und nicht nur dem Leser fällt es zunehmender schwerer, zwischen Wirklichkeit und Realität zu unterscheiden: „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich etwas geträumt oder wirklich erlebt habe. Ich weiß nicht, worauf das zurückzuführen ist, aber mir kommt vor, dass diese Schwierigkeit, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, in den letzten Jahren zugenommen hat.“
Was Xaver Bayer mit seinen Geschichten mit Marianne geschaffen hat, ist ein außergewöhnlich originelles Stück Literatur. Unterhaltsam, lustig und spannend zugleich ist dieses Buch noch viel tiefgründiger und vielschichtiger, als es bei der ersten Lektüre scheinen mag – absolute Leseempfehlung!

Xaver Bayer: Geschichten mit Marianne. Jung und Jung Verlag, Salzburg - Wien 2020. 184 Seiten, 21 Euro. Auch als e-book erhältlich - www.jungundjung.at
Foto: Jung und Jung Verlag