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„Krieg ist, wenn ich nach Hause komme“

BUCHBESPRECHUNG / ABONJI / IM SCHAUFENSTER IM FRÜHLING

27/05/11 Melinda Nadj Abonji erzählt mit großer Leichtigkeit von der bedrückenden Schwere patriarchaler Gewalt. Es ist die Geschichte der aufmerksamen Luisa, die das Schlechte erfährt, das Falsche tut, aber das Gute will. „Im Schaufenster im Frühling“.

Von David C. Pernkopf

Kein Krieg habe so viele psychische Störungen verursacht, wie die Familie, schreibt der Systemtheoretiker und Soziologe Niklas Luhmann. Von einer durch familiäre Strukturen verursachte traumatische Störung erzählt dieses Buch. Im Österreich nach Fritzl kann man eine solche kunstfertige aber aufwühlende Geschichte nicht mehr ohne Unschuld lesen. Es ist eine traurige Geschichte über Gewalt und Repression, innerhalb der Familie und unter Kindern.

Luisa ist ein aufgewecktes Kind. Luisa ist aufmerksam, schlau und keck. Luisa ist Opfer häuslicher und später auch sexueller Gewalt. Der Vater schlägt sie regelmäßig mit der Hand, dem Gürtel, dem Lineal – die Mutter steht daneben und betet für ihre Tochter. Unaufhaltsam dreht sich die Spirale weiter und auch Luisa wird zur Täterin, wenn sie Freundinnen und ihre kleine Schwester schlägt. Ihre innerfamiliären Erfahrungen machen Luisa zu einer psychisch schwer traumatisierten jungen Frau, die nach außen hin attraktiv und durchaus heiter wirkt - in ihrem Inneren brodelt es. Und dieses Brodeln sind ihre Erinnerungen an die Spirale der Gewalt und ihre strukturelle und sozial legitimierte Ausbreitung. In der Beziehung zu Frank, einem verheiratetem Unternehmensberater, gerät die männlichen Gewalt wieder aus dem Ruder. Doch diesmal sinnt Luisa auf Rache, als sie unter dem Bett ihres Geliebten Nacktfotos von ihm und seiner Frau und eine in Seidengewand gewickelte Pistole findet.

Erzählt wird dieser Plot auf eine sehr verwirrende und verschleiernde Weise. Durch Rückblenden, Wiederholungen, Einschübe und Einschnitte fordert der Roman dem Leser einen hohe Grad an Konzentration ab, um dann doch mit der Frage zurückzubleiben: Hab ich etwas überlesen? Zur Auflösung kommt es nicht. Aber zu vielen Ankündigungen, Irrungen, Umwegen und Einschüben. Es geht manchmal etwas zu schnell mit der Schnittfolge der Erzählpassagen – das Erzählensemble wirkt dann holprig und überdreht.

Eine latente Überstrukturierung ist ebenso Strategie der Textdramaturgie wie die Anspielung an die Sprache und die Machart des Märchens. Der Text spielt mit den für das Märchen konstitutiven Elementen – dem Verbergen des Eigentlichen im Symbolischen und dem Phänomen der Verschiebung. Was wie eine infantil und naiv wirkende Kompensierung großer Bedrängnis wirkt, ist therapeutisches Medium gegen Repression und Gewalt.

In den entscheidenden Momenten bricht der Text ab, schiebt ein Zwischenspiel ein oder variiert durch eine Wiederholung und lässt so Spannung entstehen. So erfahren wir von Luisas Kindheit, von Gewalt, von sexuellen Erfahrungen des Kindes. Diese bleiben ebenso auf eine bedrückende Art verstörend, weil sie Verletzungen, Demütigung und Egoismus evozieren anstelle der gewohnten Neugier und Lust. Aber genau darum geht es: Der Ort der Intimität in Beziehung und Familie ist zugleich der Ort von Macht und Gewalt. Die Figuren, die sich durch diese Gewaltspirale drehen, sind Täter und Opfer, oder beides.

Melinda Nadj Abonjis Debütroman von 2004 ist tiefgründig, verwirrend banal und stereotyp zugleich. Mit ihrem zweiten Roman „Tauben fliegen auf“ gewann die 1968 in Serbien geborene Schweizer Autorin im vergangenen Jahr sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis. Dieser Erfolg hat den Verlag Jung und Jung bewogen, ihren Erstling „noch einmal ins Schaufenster“ zu stellen, wie es im Klappentext heißt.

Trotz des aufgeregten Hin- und Hererzählens bleibt Raum für eine Alltagspoetik der Beschreibung. Die Betrachtung der Dinge hat aber auch für Luisa eine kompensierende Funktion, um mit der Gewalt des Vaters umgehen zu lernen: „Zu Hause schlug der Vater Luisa ins Gesicht, Luisa hielt still. Der Zehnerstab war orange. Sag etwas, brüllte der Vater. Der Siebnerstab schwarz. Ich werde es dir zeigen, der Vater hatte eine dicke Ader am Hals.“

Im innovativen und formulierungsmächtigen Schreiben zeigt sich zusätzliches poetisches Potential: „(…) Luisa fielen die Worte aus dem Mund, deine Hand ist wie ein Geheimnis.“ Doch auch hier verweigert Abonjis Poetik eine letzte Auflösung. So wie Luisas Liebhaber Frank mit einer blinden Stelle zwischen den Augen beschrieben wird, arbeitet auch der Text mit blinden Stellen, mit Leerstellen. Weder der Erzähler noch der Leser scheinen hinter die erzählten Dinge blicken zu können. Nur ein vages Ahnen Luisa bleibt. Wir können nicht hinter die Fassade blicken, die mit einer naiv-kindlichen und rhythmischen Sprache verhangen ist, wir können die Spannungen, die Verzweiflung und Nöte nur ahnen. Zwischen den Zeilen dringen sie kurz hervor, flackern auf und verschwinden wieder: „Bald ist der Vater alt, dann sind seine Hände fleckig und seine Zähne fallen ihm aus. Jesus, warum bist du im Kreuz verschwunden, dachte Luisa.“ Damit bringt sich der Text zu jener familiären Idyllenfassade in Analogie, die nur in ihrem Schein besteht und zugleich gegen sie in Stellung. Aber trotzdem ist der Leser nicht ganz überzeugt: Meint es die Autorin aber auch wirklich ernst? Oder steckt hinter der Leerstelle eine unausgegorene Geheimniskrämerei anstelle eines überwältigenden Abgrunds?

Melinda Nadj Abonji: „Im Schaufenster im Frühling“. Roman, 144 Seiten, Jung und Jung, Salzburg 2011. € 17,90
Melinda Nadj Abonji ist heute, Freiitag (27.5.) gleich zwei Mal beim Literaturfest Salzburg zu erleben: Um 19.30 Uhr gibt es im Theater in der Druckerei (Paris Lodron Straße 2) eine Lesung (zusammen mit Zsuzsanna Gahse). Da hört man Ausschnitte aus dem Roman "Tauben fliegen auf". Ab 21 Uhr am gleichen Ort ein Konzert: Melinda Nadj Abonji ist nämlich auch Musikerin und spielt mit Jurzok 1001.
Bilder: Jung und Jung

 

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