Bedürfnis nach Wärme, Abneigung gegen Berührung

BUCHBESPRECHUNG / FEDERMAIR / DIE APFELBÄUME VON CHAVILLE

06/12/12 Peter Handke hat Geburtstag - und ist an seinem Siebziger sogar in Salzburg: Er nimmt heute Donnerstag (6.12.) den "Großen Kunstpreis des Landes Salzburg für Literatur" entgegen. Einen Dichter ehrt man freilich am meisten, indem man ihn liest. Was bei Handke nicht immer einfach ist. Ein wenig auf die Sprünge helfen können Leopold Federmairs „Annäherungen an Peter Handke“. Sie sind unter dem Titel „Die Apfelbäume von Chaville“ bei Jung und Jung erschienen.

Von Heidemarie Klabacher

Peter Handke schreibt schon lange Bücher. Auch Bücher über Handke und seine Bücher werden schon lange geschrieben. Das ist gut so. Dieser Dichter macht es seinen Leserinnen und Lesern ja nicht immer leicht. Doch viele Autoren von Büchern „Über“ helfen dem Leser auch nicht weiter, stehen dem zu vermittelnden Autor an Kompliziertheit kaum nach. Der Unterschied: Der eine schreibt Literatur. Die anderen produzieren bestenfalls Literaturwissenschaft. Da plagt man sich doch lieber mit dem „Original“.

Aber es geht auch anders: Tatsächlich eine Behelfsbrücke zum Werk sind die „Annäherungen an Peter Handke“ von Leopold Federmair - als Schriftsteller selber kein Vertreter der leichten Muse. Seinen großen Essay über Adalbert Stifter (2005 bei Otto Müller erschienen), schlägt man immer wieder mit Gewinn auf. So wird es auch mit den acht Essays zu Peter Handke sein, die unter dem Titel "Die Apfelbäume von Chaville" nun bei Jung und Jung erschienen sind: Zum schnellen Drüberlesen sind die Texte zu anspruchsvoll, setzten sie zuviel voraus. Zum immer wieder Hervorholen, als Begleitlektüre zu eigenen Versuchen einer Annäherung an den Dichter, sind sie hilfreich und erhellend.

Leopold Federmair durfte mit dem Dichter spazieren gehen, sein Haus betreten, unter seinen Bäumen im Garten in Chaville wandeln - und von Handke persönlich eingelegte Pilze kosten. Das erfährt man gleich einmal zu Beginn, in der atmosphärisch dichten Schilderung „Die Enklave von Chaville“. Auch dass Handke Kräuter sammelt. Lustig irgendwie, dass Leopold Federmairs Tangoschuhe direkte Spuren in Peter Handkes „Der große Fall“ hinterlassen haben.

Dennoch kippt das Buch nie ins Anekdotische, bleibt Federmair klugerweise auf respektvoller Distanz. Dass man sich dem Dichter – auch mit geschickt geworfenen Hölzchen in Form von Anspielungen auf dessen Werk – nicht anbiedern kann, verrät Federmair schon auf der ersten Seite. Er habe in seinem Brief an Handke den Vogelschlafbaum erwähnt: „Sie wollen den Vogelschlafbaum kennenlernen?“ Er winke ab: „Das war einmal.“

Das kleinformatige Buch mit dem abweisenden Blocksatz und der schnörkeligen Schrift ist rein physisch mühsam zu lesen, trotz des klassischen Stellung der Buchseiten (unterer Seitenrand ein Hauch größer als oberer, innerer Seitenrand ein Hauch kleiner als äußerer). Aber das muss nicht für alle Augen so sein. Wessen Augen sich Handke schon geöffnet haben, kommt mit den vielen Zitaten, Buchtiteln, Anspielungen und Fußnoten wahrscheinlich auch gut zu recht.

Die vielen Fußnoten zwingen zudem zum ständigen Blättern. Aber man will ja wissen, wo genau ein so wunderbarer, trauriger und poetischer Satz steht, wie etwa: „Ah, der Frieden. Nichts so schön wie seinerzeit der Frieden. Noch dazu in unserer Sprache: Mir.“ Man schägt die Anmerkungen auf, schaut im Abkürzungsverzeichnis nach, geht zurück zu den Anmerkungen: „Immer noch Sturm“ Seite 122. Wieso sagt einem das Keiner?

Welch’ schönere Leistung kann eine Fußnote (in diesem Falle ist es die dritte Fußnote im Kapitel „Der Pilzkrieg“) erbringen, als von der Sekundär- direkt hinüber in die Primärliteratur zu locken? Solchen Verlockungen erliegt man immer wieder.

„Krieg und Frieden“ sei das „janusköpfige Leitthema nicht nur von Handkes Erstlingsroman, sondern der meisten Werke, die der aus dem stark slowenisch bevölkerten Gebiet Kärntens stammende Autor später noch schreiben sollte“, schreibt Leopold Federmair im Kapitel „Der Pilzkrieg“. Hier findet sich auch eine der treffendsten Analysen des längst klassischen, immer wieder gerne heraufzitierten „Skandals“. Das macht ein längeres Zitat nötig, zeigt aber exemplarisch den Umgang des Essayisten Federmair mit dem Autor Handke:

„Das Erscheinungsbild Peter Handkes in der Öffentlichkeit, den meisten ‚Mediennutzern’, wie das heute heißt, ohnehin viel besser bekannt als seine Bücher, will ich hier nicht groß erörtern. Ich entnehme diesem von den Massenmedien modulierten und manipulierten Bild nur einen Aspekt, weil er mir signifikant scheint und auf eine wesentliche Seite des Werks verweist. Lange vor seinem Auftritt im Wiener Akademietheater 1996, den ich in langen Ausschnitten im Fernsehen sah, konnte man öffentliche Zornausbrüche Handkes mitverfolgen. Fabjan Haffner berichtet von einer – für sich genommen nicht sehr bedeutenden Verbalaggression des Autors, der 1981 bei einer Buchpräsentation in Klagenfurt seinem Kollegen Ingram Hartinger eine Ohrfeige androhte. Schon der nervöse Auftritt Handkes 1966 bei der Tagung der Gruppe 47, besonders der Vorwurf der ‚Beschreibungsimpotenz’, lässt sich als Aggression gegen Kollegen im Stil der damals gerade uraufgeführten Publikumsbeschimpfung lesen. Die Literatur hat bei Handke schon immer auf das Leben übergegriffen – und umgekehrt. Jenem Reporter, der 1996 seine Betroffenheit durch die Jugoslawienkriege erklärte (auf mich als Fernsehzuschauer wirkte der Mann eher heuchlerisch), antwortete der auf der Bühne nervös hin- und herlaufende Handke, er solle sich die Betroffenheit ‚in den Arsch schieben’ (die mediale Gerüchteküche machte aus der ‚Betroffenheit’ dann ‚Leichen’ oder ‚Tote’.“

Leopold Federmair: Die Apfelbäume von Chaville. Annäherungen an Peter Handke. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2012. 302 Seiten, 22 Euro.
Bild: dpk-klaba