BUCHBESPRECHUNG / 400 JAHRE THEATER
26/09/25 „Frau Martha“ heißt ein kleiner Beitrag, eigentlich eine Liebeserklärung. Eingeordnet unter G wie „Geister“. Frau Martha, unterdessen verstorben, war eines der Gesichter, die man immer gesehen hat. Leute, die einfach dazugehör(t)en, omnipräsent am Arbeitsplatz wie in der Theaterkantine.
Von Reinhard Kriechbaum
Eine solche „Frau Martha“ kennt wahrscheinlich jeder, der oft ins Landestheater geht. Die Frau Martha des Schreibers dieser Zeilen hieß Frau Johanna. Leider heuer im Frühjahr verstorben. Über Jahrzehnte eine Grande Dame an einer der Türen zum Parterre. Sie wirkte immer bestinformiert, wenn man ihr auf der Straße begegnete, stand aber so loyal zu „ihrem“ Haus, dass ihr kaum ein negatives Wort zu entlocken war. Man musste schon ihre Blicke zu deuten wissen.
Um Leute vor und hinter den Kulissen, um jene hoch oben im Schnürboden oder unten, wo die Drehbühne auf leisen Rollen läuft, oder sonst irgendwo in den Büros des Künstlerischen Betriebasbüros oder den Probenräumen der Korrepetitoren – um sie geht es in dem Buch 400 Jahre Theater am Mirabellgarten – 400 Theatermenschen. Es macht größte Lust, hineinzulesen. Nicht nur, weil die Texte von einem recht großen Autorenteam mit viel Empathie und dennoch durchwegs knackig geschrieben sind.
Buchstabenweise geht’s dahin, aber viele kommen natürlich mehrfach vor. Schließlich werden – zum 400-Jahre-Jubiläum des Ballhauses am Hannibal-/Makartplatz und den nachfolgenden Theatergebäuden am selben Platz, eben so viele Theatermenschen porträtiert. Auch Bildauswahl und Graphik sind höchst anregend. Ausgiebig zitiert wird Jean-Louis Barrault, der 1956 die Autobiographie Ich bin Theatermensch veröffentlichte. Eine Fundgrube, wenn's um Liebe zum Beruf geht.
Sind vierhundert Porträts nun viel oder wenig? „Die aktuelle Personalliste zählt ja schon über 350 Theatermenschen in Kunst, Verwaltung und Werkstätten; bis Spielzeitende wird die Zahl mit Gästen auf 400 angestiegen sein“, schreibt die Dramaturgin Friederike Bernau. „Denen der ersten Jahrhunderte danken wir – und bedauern, nicht viel über sie zu wissen.“
Immerhin Bartholomä Harrath. Den Namen sucht man vergeblich im aktuellen Spielzeitheft. Er war 1641 der erste (belegte) Salzburger Ballmeister. Ballmeister wohlgemerkt, nicht Ballettmeister! Das ursprüngliche, eben von vierhundert Jahren errichtete Gebäude war ja nicht zuerst Theater, sondern Ballhaus. Beim Ballmeister konnte man Bälle und Raquetes (schläger) ebenso borgen wie Sportkleidung, Das „Ballmeisterstöckl“, wo Harrath und seine Nachfolger wohnten, muss man sich als betriebsames Kleinunternehmen vorstellen, wo Sportgerät erzeugt, repariert, Gewand und Handtücher gewaschen und die Kundschaft mit Speis und Trank gelabt wurde. Glasbruch, wenn die Bälle flogen? Diese Sorge hatte der Ballmeister nicht, denn die großen Fenster des Ballhauses waren nicht mit Glas, sondern mit Leinenrollos und Netzen verschlossen.
Wer A sagt – Autorinnen und Autoren – muss auch B sagen, wie Ballett, Ballmeister, Bauprobe, Beleuchtung, Brandschutz, Bühnenbild und Bühnentechnik: Allein aus der Aufzählung der Stichwörter zu einem Buchstaben bekommt man einen Eindruck von der Vielfalt der Menschenbilder. C schwächelt, ist aber als Chor personenstark aufgestellt. Auch D hat nur einen Job, Dramaturgie. Aber die hat bekanntlich oft das Sagen.
Die Dramaturgin Friederike Bernau hat eine nette Geschichte über Alexander Girardi ausgegraben. Der hatte 1870/1871 sein allererstes Engagement am damaligen Salzburger Stadttheater. Besagte Story spielte sich aber später in Wien ab. Girardis erste Ehefrau, des Gatten überdrüssig, wollte ihn für verrückt erklären lassen und ersuchte Julius Wagner-Jauregg um ein Gefälligkeitsgutachten. Als „vom Cocainwahn befallen, irrsinnig und gemeingefährlich“ stufte der spätere Nobelpreisträger den Schauspieler ung'schauter ein und ordnete die Einweisung in eine Irrenanstalt an. Girardi entzog sich durch Flucht zu Katharina Schratt, mit deren Freundes (des Kaisers!) Hilfe wurde der Schauspieler „gerettet“. Es ist in Österreich immer gut, im rechten Moment die richtigen Leute zu kennen...
Es gibt im Theater aber auch erfolgreiche Liebesgeschichten. Manche münden sogar in Heiratssachen. Eine solche hat sich erst vor wenigen Monaten, im Juni dieses Jahres, zugetragen. Da fragte der Lebensgefährte der Solotänzerin Valbona Bushkola top secret bei der Theaterleitung an, ob er seiner Herzdame wohl auf offener Bühne einen Heiratsantrag machen dürfte, nach der Derniere der Ballettproduktion von Fridas Welt, in der Valbona Bushkola die Hauptrolle spielte. Man glaubt's nicht, aber die Sache wurde tatsächlich klammheimlich durchgezogen, ohne dass die Primaballerina etwas ahnte – ein Highlight schließlich für das junge Paar, für die Theaterleute und fürs Publikum.
Noch nicht verheiratet, aber schon zu dritt sind Lisa Fertner und ein Bühnentechniker. Tiefer Blick in die Augen (den Rest vom Gesicht verbarg damals die Covid-Schutzmaske), dann Annäherung bei einem Betriebsausflug. Vielleicht ticken Bühnen- und Büromenschen im Liebesernstfall gar nicht so unterschiedlich. Mit gleich erfolgreichem Endergebnis lief die Sache zwischen dem Schauspieler Christoph Wieschke und der Gewandmeisterin des Hauses. Wenn man einem Schauspieler quasi berufsmäßig an die Wäsche geht, lassen sich scheint's gut innere Werte aufspüren.