Abrechnung mit dem Patriachat

LESEPROBE / TAMAR TANDASCHWILI / LÖWENZAHNWIRBELSTURM IN ORANGE

20/07/18 Von Frauen und Männern, die sich dem rücksichtslosen Bündnis zwischen Patriarchat, Kirche und Polizei verweigern und um ein selbstbestimmtes Leben kämpfen erzählt Tamar Tandaschwili in „Löwenzahnwirbelsturm in Orange“ und hat damit in ihrer georgischen Heimat große Skandale und Diskussionen ausgelöst. – Hier eine Leseprobe.

VON TAMAR TANDASCHWILI

2. Casta Diva

»Tea, ich habe es zu Ende geschrieben. Ich hoffe, es klingt beeindruckend.«
»Hm, es fehlt da am Dramatischen. Willst du nicht etwas mehr Mitleid erregen?«
»Was kann ich denn daran noch ändern?«
»Also gut, den letzten Absatz schreibe ich selbst. Du hast doch bestimmt in deiner Jugend Victor Hugo gelesen?«
»Was müssen wir Tanja zahlen, hat sie was gesagt?«
»Du denkst immer nur ans Geldausgeben. Sie will nichts dafür.«
»Sie wird ihn doch nicht umsonst pflegen?«
»Letztens habe ich ihr Body- und Gesichtslotion gebracht. Nächste Woche bekommt sie Ischias-Medikamente von mir. «
»Du denkst, Body- und Gesichtslotion reichen dafür aus? Vielleicht fragen wir sie direkt?«
»Was ist, hast du zu viel Geld?«
»Ich könnte ihr 300 Lari im Monat zahlen.«
»Wenn diese Regierung aufhört, Leute im Gefängnis zu foltern, wirst du noch vor Hunger umkommen. Spar dir lieber dein Geld.«

Sie gleicht einer Unzurechnungsfähigen. Wer aber den konspirativen Geist einer Mata Hari in Verbindung mit dem revolutionären Elan eines Che Guevara erleben will, muss auf jeden Fall Tea kennenlernen. Dabei habe ich vergessen, Gandhis Gerechtigkeitsgefühl und Florence Nightingales Güte zu erwähnen.
»Awto, dein Hund, den du auf die Straße gesetzt hast, ist tot. Er hat drei Monate im Tierheim auf dich gewartet, ehe er eingeschläfert wurde. Ich komme gerade von dort.«
Sie wirft es ihm mitten auf der Straße vor und geht weiter.
Awto steht wie angewurzelt da und wird von zahlreichen »He, du hast sie wohl nicht alle« und hupenden Autos auf den Bürgersteig geschwemmt.
»So ein Arsch, wegen ihm konnte ich den Hund nicht nach Deutschland zur Adoption geben, er gehörte ihm. Dann wurde der Hund von einem Auto angefahren und er hat ihn nicht mal im Tierheim besucht. Man sollte ihn an den Eiern aufhängen, an denen er sich dauernd kratzt, dieser Onanist!«
»Wenn er das vor Leuten tut, heißt das Exhibitionismus, Tea.«
»Komm, ein bisschen schneller, wenn du bei uns noch was essen willst. Mamaaa … Eka ist mitgekommen, sie ist total unterzuckert. Gibt’s was zu essen?«
»Ach Gott, meine Liebe, stirbst du, wenn du nichts isst?«
»Nein, mir wird nur übel, ich habe keine klinische Diabetesform.«

Teas Schwester ist Opernsängerin. Sie sitzt im Nebenzimmer am Flügel und singt aus vollem Hals Arien. Tascho, dem pechschwarzen Dackel, gefällt das nicht besonders, aber er begleitet sie mit herzzerreißendem Geheul.
»Sag ihm, er soll still sein, sonst bring ich ihn um, ich schwöre es!«

»Tascho, halt still, sonst schneidet dir diese Verrückte wirklich die Kehle durch.«
Taschos Geduld hält aber nicht lange an und schon bald hört man auf der ganzen Straße ein verzweifeltes Duett von Hund und Mezzosopran.

»Du bist Psychiaterin, meine Gute, nicht wahr?«, fragt mich Teas Mutter mit einem Stück Fleisch in der einen und dem Messer in der anderen Hand.
»Mama, warum kommst du wie eine Massenmörderin daher, leg doch wenigstens das Messer weg.«
»Ich will dir jetzt ganz schnell die Tragödie meines Lebens erzählen.«
»Hör ihr gut zu. Sie wird dir Sachen erzählen, die dich gleich für die höhere Psychiatrie qualifizieren«, meint Tea.
»Hier in der Familie sind alle verrückt, außer mir. Das hast du bestimmt schon gemerkt, wir sind ein richtiges Zigeunerlager. Seit heute Morgen gehen hier Gäste ein und aus. Mein Mann glaubt, dass unsere Wohnung ein Restaurant ist. Zum Schluss war nur noch eine Schüssel Borschtsch übrig, die ich der Gesangslehrerin angeboten hab. Jetzt bin ich dabei, Brot zu rösten.«

Ich gehe zur Toilette und drücke gerade die Türklinke runter, als mich jemand von hinten an der Taille fasst. Ich drehe mich um und sehe eine winzige Frau vor mir stehen, die mich anlächelt.
»Haben sie dir das schon gesagt, ich bin Teas Tante«, sagte sie auf Russisch.
»Sehr angenehm, ich bin Eka.«
»Ich weiß, ich weiß, du bist eine Ärztin für Verrückte. Hier kannst du ganz gut üben, wenn du öfters herkommst.«
»Werd ich versuchen.«
Ich gehe rückwärts zur Toilette.
»Geh schon, geh, ich werde hier warten.«
Nachher steht sie tatsächlich immer noch vor der Toilettentür und spricht mit mir auf gut Georgisch weiter.
»Bald werde ich auch noch verrückt. Drei Hunde, der eine hasst Opern, die anderen zwei hassen uns. Ich weiß nicht mal, wohin ich flüchten kann?!«

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlags

Tamar Tandaschwili: Löwenzahnwirbelsturm in Orange. Roman. Residenz, Salzburg Wien 2018. 136 Seiten, 18 Euro. Auch als e-book erhältlich - www.residenzverlag.com
Bild: Ira Kurmaeva_Nino Isakadze, CloudStudio_6587/Residenz Verlag