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Die Familie

LESEPROBE / PRÄHAUSER / INFANTENNOVELLE

25/10/18 Für das Manuskript Die Infantennovelle mit dem originellen Untertitel Familienporträt mit Watschenbaum und Wolpertinger ist Stephanie Helena Prähauser mit dem Jahresstipendium für Literatur des Landes Salzburg ausgezeichnet worden. Eine Leseprobe.

Von Stephanie Helena Prähauser

Stellen Sie sich ein Gemälde von Hieronymus Bosch vor.
Nun animieren Sie es.

Wir trinken schwarze Regensuppe zum Nachtmahl. Der Sturm hat das Grundwasser mit Erde verdickt. In der Ecke brütet ein grüner Kachelofen, die Stube ist heiß, doch mir ist kalt. Die langen Finger der Urgroßmutter stehen wie Schiefer vom Tisch ab, um den wir alle sitzen.

Die Arbeiterhände des Urgroßvaters sind übersät mit Altersflecken und hervortretenden Adern. Sie ragen aus seiner braunen Wollweste heraus wie ein Schildkrötenkopf aus seinem Panzer. Nackt und zerfurcht. Die Hände der beiden berühren sich nicht. Sie greifen nicht nach oben oder nach einander. Es sind Bauernhände. Sie Magd, er Knecht. Die Genetik des Gesindes mischt sich nicht leicht mit dem Adel. Ihre Hände ackern, jäten und säen. Sie sind Sicheln fürs Getreide und Sensen fürs Gras.

Auf der dunklen Holzkredenz steht das Hochzeitsfoto des Ehepaares. Es zeigt den Urgroßvater stolz auf einem Stuhl thronend oder dackelnd, je nachdem. Die Urgroßmutter steht hinter ihm, herrscht, wohl mit Würde, aber ohne größere Begeisterung über ihn, uns und das restliche Ackerland. Sie schämt sich dafür, dass er kleiner ist als sie. Scham ist nicht dasselbe wie Reue, versichert sie oft während des Kartoffelschälens, und bereut nichts. Dann kerbt sie Unmengen an Butterschmalz aus dem Plastikbecher, schmiert alles in die Gusspfanne und ertränkt die kleinen gelben Scheiben darin, die wir gerne salzig essen. Überall riecht es nach dem Fett. In den Ecken, an unseren Händen und wahrscheinlich auch in ihrem Haar. Aber das wissen wir nicht genau, weil wir ihr lieber nicht zu nahe kommen. Außerdem, ergänzt das uralte Mütterlein, muss man bescheiden sein. Bescheidenheit muss der Mensch erst lernen, sagt sie und klopft mir auf den Finger, der zur Kostprobe ansetzt. Zuerst Demut, dann Bescheidenheit, führt sie fort. Doch ihre Bewegungen sind nie devot, außer, wenn sie glaubt, dass der liebe Gott gerade zuschaut. Und der Urgroßvater vergöttert seine herbe Majestät mit Kochschürze und ihren Kartoffelröster sowieso.

Zum Porträt über die Autorin Plackerei und Fingerknochenarbeit

 

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