Hype um Windelorte

LESEPROBE / LUDWIG LAHER / WO NUR DIE WIEGE STAND

27/02/19 Warum ziehen bloße Windelorte so viele Neugierige an? Ludwig Laher spürt in seinem geistreichen literarischen Essay der Frage nach, was es mit der vielbeschworenen, kaum je aber nachvollziehbar begründeten Aura solcher Schauplätze auf sich hat. – Hier eine Leseprobe.

VON LUDWIG LAHER

Salzburg ohne Mozart? Nahezu denkunmöglich ist das. Sein herausgeputztes Geburtshaus in der zentralen, meist überlaufenen Getreidegasse gehört heute zu den bestbesuchten Museen Österreichs, obwohl von den dort gezeigten Exponaten nur recht wenige mit seiner Familie oder gar mit ihm selbst in Verbindung gebracht werden können. Siebzehn lange Jahre wuchs Wolfgang Amadé in der elterlichen Wohnung im dritten Stock auf, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung meinen. Fast die Hälfte davon muss man freilich gleich wieder abziehen, gastierte das vom Vater gemanagte Wunderkind während dieser Zeit doch auf ausgedehnten Konzertreisen in weiten Teilen Europas.
Sich einmal in jenen Räumlichkeiten aufzuhalten, wo der früh verstorbene Rokokostar seinen Anfang nahm, gehört trotzdem zum Pflichtprogramm unzähliger Touristen aus aller Welt. Aber warum eigentlich? Keine Frage, die barocke Pracht und Atmosphäre der fürsterzbischöflichen Residenzstadt hatten zweifellos großen Einfluss auf den überaus talentierten jungen Musikus, der in den besseren Kreisen Salzburgs von Kindesbeinen an aus und ein zu gehen hatte, um sie gepflegt zu unterhalten. In jenem Gebäude aus dem Hochmittelalter, in dem seine Wiege stand, ist davon wenig zu spüren.
[...]
Dieses Buch unternimmt einen abwechslungsreichen Streifzug durch früh verlassene Windelorte von Leuten, denen ihre Prominenz nicht in die Wiege gelegt worden war. Es kann durchaus sein, dass die Leserinnen und Leser am Ende über den Homo sapiens sapiens im allgemeinen mindestens ebenso viel erfahren haben werden wie über den eigentlichen Gegenstand dieser Unternehmung.
I
Die langjährige Besitzerin wurde, um endlich reinen Tisch zu machen, vom Staat per Gesetz enteignet. Dagegen wehrte sie sich, doch der Verfassungsgerichtshof wies ihre Beschwerde ab und beschied im Sommer 2017, die erfolgte Maßnahme sei im öffentlichen Interesse geboten, verhältnismäßig und überdies nicht entschädigungslos.
Ein Schleifen wäre für ihn die sauberste Lösung, ließ der Innenminister schon ein Jahr zuvor höchstpersönlich wissen und kündigte im gleichen Atemzug an, man werde das auch so durchziehen. Einzig die Kellerplatte könne bleiben. In der von kriegerischen Zerstörungen weitgehend verschonten malerischen Altstadt würde dann eben an jener Stelle, wo sich das im Kern gut erhaltene, denkmalgeschützte Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert jetzt noch vorbildlich einfügt, im derzeit lückenlosen Ensemble vorübergehend eine solche klaffen. Denn auf den alten Fundamenten entstünde selbstverständlich bald Neues. Und das Problem hätte sich somit in nichts aufgelöst.
Einst beherbergte die stattliche Liegenschaft, deren alter Bausubstanz eine hübsche, mittlerweile freilich ziemlich heruntergekommene Biedermeierfassade vorgesetzt ist, eine beliebte Gaststätte, ursprünglich sogar mit eigener Brauerei. In den beiden Stockwerken darüber und im Hinterhaus wurden Wohnungen vermietet. 1938 hatte es mit all dem ein abruptes Ende wie mit dem Staat, in welchem das Objekt bis dahin verortet werden konnte. Die einzig übriggebliebene politische Partei kaufte es um ein Vielfaches des Verkehrswertes an und gestaltete es um.
Nur fünfzehn Kilometer weiter westlich räumte vor einiger Zeit die private Besitzerin eines anderen unscheinbaren Gebäudes für sehr gutes Geld freiwillig das Feld, um dem schlagartig aufgetauchten öffentlichen Interesse am ehemaligen Mauthaus nicht im Wege zu stehen. Selbiges ziert, seit es um 1700 nach dem großen Ortsbrand wieder errichtet wurde, wenig verändert den Marktplatz mitten im Zentrum. Einen von oben angeordneten Abriss braucht es nicht zu fürchten, ganz im Gegenteil. [...]
Hier erblickte, wie eine Gedenktafel links neben dem nunmehr funktionslos gewordenen ehemaligen Haupteingang verrät, Ende März 1779 ein gewisser Georg Lankensperger das Licht der Welt. Ihm verdankt sie, schenkt man der Inschrift Glauben, die segensreiche Erfindung der Achsschenkellenkung. Nun, ganz so war es offenbar nicht. 1816 erwirkte Lankensperger dafür zwar ein Patent, die im Fahrzeugbau ungebrochen aktuelle technische Revolution von einst ist allerdings, wie sich leicht in Erfahrung bringen lässt, wesentlich älteren Datums und das Werk des Großvaters von Charles Darwin. Das alles soll aber nicht weiter vertieft werden, es ist nämlich die falsche Spur.

Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlags

Ludwig Laher: Wo nur die Wiege stand. Otto Müller, Salzburg 2019. 104 Seiten, 17 Euro. Auch als e-book erhältlich - www.omvs.at
Am Donnerstag (28.2.) um 19.30 Uhr präsentiert Ludwig Laher sein druckfrisches Buch in der Panoramabar der Stadt:Bibliothek Salzburg. - buch.stadt-salzburg.at
Bild: OMVS/Katharina Laher